GÖTTERSPEISE

Immer samstags aßen wir an jenem Tisch gemeinsam,
an dem ich wochentags alleine saß und –
immer schwiegen wir beim Essen.
Immer kamen wir samstags hierher, nicht sonntags, –
am Sonntag bediente Özmir, – am Samstag – CHANTAL –
– doch das wusste nur ich.
Immer saß ich mit dem Gesicht zum Lokal,
meine Ehefrau mit dem Rücken.

Meine Augen mieden den dauergewellten Kopf gegenüber,
sie bahnten sich und suchten den kürzesten Weg zu Chantal,
die meist überall war,
sich flink und geschmeidig – von einem zum anderen bewegte,
notierte, bediente, lächelte, sich bückte,
lachend zurückneigte und – vor allem –, nach vorne.

Ja, – Chantal war überall,
sie gehörte zu niemandem,
sie gehörte allen,
doch jedem auf seine Art.

Wo blieb sie?

Chantal, welcher Klang, – dieses
„Cha“,
das aus der Tiefe kam, den Kehlkopf vibrieren ließ,
„Cha“, das heisse Luft vor die Zahnreihen trieb,
die Lippen öffnete, das
„antal“ zerdrückte sich mit weicher Zunge am
harten Gaumen.

Chantal, – man hauchte sie aus und fing sie mit dem „L“
zurückgerollter Zungenspitzen wieder ein.

„Chantal“, – ein Lied, – eine Wundertüte an Lauten,
– ein oraler Genuß.

Was sollte ich mit BERTA.
BERTA, ein Wort, hart wie trockenes Brot,
– CHANTAL – französische Götterspeise.

Seit sieben Monaten spinnt sie mich ein in ätherische Düfte,
der Blume von herbweissem Wein oder flüssiger Butter,
die glänzend hinschmilzt über den Fischleib.
Eine Forelle.
Mit flacher, heisser Klinge dringe ich ein,
öffne den Leib, klappe ihn auf. –
Weide ihn aus mit gierigem Auge,
entgräte mit feuchten Fingern das weisse Fleisch.
– Die Messerspitze fährt zart unter die Kiemen, –
hebt Bäckchen für Bäckchen.
Ich lecke die Butter von jeder Schuppe,
– sauge mit prallen Lippen die Augen aus.
Selbst Flossen und Schwanz, – ich schabe sie zärtlich –
Schicht für Schicht ab, bis nichts übrig bleibt.

Wo blieb Chantal?
Özmir schlich heran.
„Was darf es sein?“

isa bellini