Helmut Pölls neuer Roman „Die Krimfahrt“

Helmut Pölls „Die Krimfahrt“ ist eine witzige Geschichte mit wunderbaren Formulierungen, spannendem Plot, genialer Behandlung des ewig Wiederkehrenden einer Reise durch die Ukraine, tragischem Schluss, stringent erzählt, plausibel in allem Wahnwitz, traurig und komisch zugleich.

„Es ist schwer zu beurteilen, ob Erika generalstabsmäßig planend oder unbewusst in dieses Fahrwasser geriet“. Gemeint ist zunächst die Planung eines Urlaubs, und Erikas Entschluss ist fest: „Wir fahren jetzt weg.“ Erika ist die Ehefrau von Wilhelm Seidlitz, und der hält nichts vom Wegfahren. Aber wie kann Seidlitz, Hausmeister, Leseratte und Pedant in einer Person, den Wunsch seiner Frau abschlagen, wenn sie ihn mit versteinertem Gesicht aus blauviolett umringten Augen anschaut? Also wohin? Wilhelm erstarrt bei der Vorstellung, nach Afrika zu fliegen. Europa? Auch nicht besser. Er denkt nur an „die unmenschliche Hitze auf dem Petersplatz, wo sie fünf Stunden an einem glühenden römischen Mittag ausharrten, um zwei Minuten einen stecknadelgroßen Papst anzustarren, der dann auch noch Italienisch sprach.“

Dieses Ehepaar, das Züge aus Loriots „Szenen einer Ehe“ hat, wird eine Reise antreten, deren Ende weder Wilhelm noch der Leser erwartet.

Es geht nach Russland, auf die Krim!, in alten DDR-Zeiten das Mekka für jeden Genossen. Aber warum? Weil eine „windige Gestalt“ im weißen Sommeranzug namens Zifferblatt, der Inhaber des neuen Reisebüros „Puschkins Reisen“, Erikas Interesse geweckt hat und nun seine Dienste anbietet? Seidlitz bebt. „‚Denkst du denn nie?’ zischte er, ‚jetzt werden wir den Bluthund bestimmt nicht mehr los.’“ Dieser Satz, am Anfang des Romans geäußert, soll sich bewahrheiten, denn Wilhelm Seidlitz wird während der Fahrt im Krimexpress den Verdacht nicht los, von diesem Zifferblatt verfolgt zu werden, so dass er seinerseits die Verfolgung aufnimmt und eine im Wege stehende Dame grob beiseite stößt, woraufhin er beinahe verhaftet wird.

Wie geht es Erika? Miserabel. Sie leidet an Migräne, und Seidlitz will sie ins Krimexpressbett zwingen, aber sie zieht es vor, ein Aspirin so zu sich zu nehmen, als „müsse sie große Mengen verdorbener Nahrung in sich aufnehmen“. Dann geht es ihr besser, sie hat Appetit, verschlingt ihre Forelle und greift sogar zum Wodka. „Für einen Moment kam ihm der Gedanke, Erika hätte fröhlich lachend und traumartig durch eine Tür ihr bisheriges Leben verlassen und wäre (…) durch eine andere Türe wieder in ein neues Leben eingetreten, mit derselben Frisur, im selben Kleid, aber mit einem gänzlich anderen Innenleben.“

Die Reise dauert und besteht aus Wanderungen vom Salon- in den Speisewagen und zurück. Irgendwann fällt Seidlitz auf, dass Erika ihm immer wieder Wein nachschenkt, um ihn betrunken zu machen. Er spielt mit, schüttet heimlich sein Getränk weg, und endlich im gemeinsamen Abteil angekommen, beobachtet er, sich schlafend stellend, wie sie sich aus dem Waggon schleicht. Zu wem? Zu Zifferblatt? Seidlitz schnüffelt in Erikas Handtasche, die sie vergessen zu haben scheint und findet einen Brief mit der Aufschrift „Für Erika.“ Es ist ein Abschiedsbrief, und die Schrift gleicht der von Seidlitz’. Jemand zieht die Notbremse. Erika verschwindet. Seidlitz ist stolz, den Mordplan, als Selbstmord getarnt, aufgedeckt zu haben und trinkt einen Schluck des blutroten Weins, den Erika ihm am Nachmittag gekauft hat…
Petra Lang

Helmut Pöll
Die Krimfahrt
Roman, 196 Seiten
Leipzig 2016
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Als kindle oder Printausgabe erhältlich
8,55 Euro