Schon im Wort „Fastenzeit“ schwingt Bedrohliches , denn heißt es nicht in der Bibel (Mat 4,1-11), der Herr habe 40 Tage in der Wüste gefastet und sei vom Teufel alias Satan „versucht“ worden? Mancher wüsste so gern, worin die Versuchung bestanden hat, neben Brotwunder und Machtverlockung – war es Magdalenen oder ein Schweinsbraten? Nun, eins ist erwiesen: Bei Meerschweinchen macht Fasten Sinn – sie leben einfach länger, wenn sie weniger fressen. Ob sie auch glücklicher sind, bedarf noch genauer Studien. Nur eins: Der Mensch ist kein Meerschwein, er isst es, und zwar je dicker desto lieber. Und was heißt schon „macht Sinn“? – Dieser Anglizismus sollte von Sprach-Ästheten mit größter Vorsicht gebraucht werden, zumal er völlig unnötig ist – ganz im Gegensatz zu jenem anderen, sehr verwandten, der sich vor zwei, drei Jahrzehnten hier einzuschleichen begann, dem „Liebe machen“, (make love, not war) von dem wir inzwischen allerdings schon länger nichts mehr gehört haben.

Die Deutsche Sprache, die allein in Wahrigs Wörterbuch an die 26.000 „Stichwörter“ umfasst, hat an dieser Stelle eine Lücke. Woran mag es liegen, dass der auch literarisch so wichtige geschlechtliche Vollzug kein eigenes hochdeutsches Verb in den tiefen Wäldern Germaniens bekommen hat, sodass wir auf diese dann doch etwas steife englische (oder französische) Komposition zurückgreifen müssen? – Oder, wie unlängst bei einer angesehen deutschen Autorin in ihrem 600 Seiten-Wälzer „Unterleuten“ zu lesen war, die Protagonisten seien ins Wohnzimmer gegangen und hätten sich „dort geliebt“ – wie, was, „lieben“? Verstehen wir darunter nicht gern etwas ganz anderes, Tiefes, Seelisches, Dauerhaftes womöglich usw.? Haben wir Deutschsprachler, prüde wie unser Hochdeutsch nun mal ist, keine Chance, dem Dilemma zu entgehen? Nur mit mehr oder weniger groben umgangssprachlichen Anleihen in der Vogel-oder Fäkalwelt, die naturgemäß eine feine Autorin wie Julie Zeh keinesfalls benützen möchte? Ein wahres Sprach-Fasten also, eine unangenehme Enthaltsamkeit, oder sollten wir vielleicht doch beim Nachbarn ganz offiziell anfragen und leihen oder wenigstens tauschen dürfen: Bieten (z. B.) „Waldsterben“ gegen „faire l’amour“ oder „make love“?

Wobei, was heißt schon „fasten“, dieses so genannte „Fasten“, das kalauert uns doch bei jedem Flug nach Hamburg oder Gran Canaria entgegen als „fasten your seatbelt“ – und tatsächlich, führt uns der schlaue Herkunfts-Duden zur gemeinsamen Sprachwurzel des „Festhaltens“ zurück, wenn wir von „Fasten“ sprechen, also dürfen wir dann auch ganz anglophil „Liebe machen“, während wir den Seatbelt fasten, alles hat dieselbe Wurzel, seien wir großzügig, und auch Matthäus wird uns wohl verzeihen – wir haben uns ja im Hochdeutschen bis heute sprachlich absolut enthaltsam verhalten.
W.H.