Spielort, Kulturveranstalter und Stadtteilarchiv im Münchner Norden
Die Mohr-Villa Freimann

Von Simone Kayser

Das Kulturzentrum Mohr-Villa in der Situlistraße besticht schon von außen durch seinen schönen Garten und beim Eintreten durch das rege kulturelle Angebot. Das Gelände mit dem Haupthaus und den ehemaligen Stallungen trägt seinen Namen von der Familie, die hier Ende des 19. Jahrhunderts noch herrschaftlich residierte. Danach wurde das Anwesen teils als Wohnraum für Angestellte der Rüstungsfirma Krupp KG genutzt, als Betsaal für die wachsende protestantische Gemeinde, als Wachlokal der Roten Garde und nach 1925 als Wohnhaus des Reichsbahnpräsidenten. Als in den 1980er Jahren dem inzwischen verwahrlosten Gebäude der Abriss drohte, kämpften Freimanner Bürgerinnen und Bürger für die Rettung der Villa und des unverbauten Grundstücks. Heute gehört das Haus der Stadt, und der Mohr-Villa-Verein betreibt es als Kulturzentrum.

Das Gelände wird praktisch den ganzen Tag bespielt, morgens von Kindergartenkindern und später von Kreativen, die in den Werkstätten und Ateliers malen, töpfern, drucken und bildhauern, Tanzkurse besuchen, Musik machen oder Theater spielen. Konzerte finden regelmäßig im Gewölbesaal oder Open Air statt. Und auch Literarisches ist im Programm, wobei der Schwerpunkt eher auf Performativem, Szenischem als auf der klassischen Lesung im Stil „Autor, Tisch und Wasserglas“ liegt. So wird es auch am Freitag, dem 9. Juni sein, wenn die beiden Sprechkünstlerinnen Mareike Tiede und Franziska Trischler unter dem Motto „Wer lebt, stört“ Fragen von Schuld und Unschuld aufwerfen und die Suche nach dem richtigen Leben hinterfragen.

„Literatur ist ein wunderbares Vehikel, um sozialkritische Themen anzustoßen“, meint Geschäftsführerin Julia Schmitt-Thiel, deren Vater seit Jahren am 10. Mai, dem Jahrestag der NS-Bücherverbrennung, Lesungen aus damals verbrannten Büchern am Odeonsplatz organisiert. „Die Villa versteht sich als Unterstützung für Menschen, die kreative Ideen haben. Wir helfen mit Räumen, Pressearbeit und technischer Ausstattung.“ Auch in der Flüchtlingsarbeit engagiert sich der Verein mit Theaterprojekten in der Bayernkaserne: „Mohr-Villa goes Camp“.

Das Münchner Sommertheater, das jeden Juli im Amphitheater im Englischen Garten spielt, inszeniert dieses Jahr „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist. Bei schlechtem Wetter werden die Vorstellungen kurzfristig in die Mohr-Villa verlegt, wo die Theatergruppe um die Regisseurin Ulrike Dissmann regelmäßig probt. Die Herbstspielzeit vom 21. bis zum 30. September findet in der Mohr-Villa statt.

Literarisch Interessantes lässt sich auch im Freimanner Stadtteilarchiv entdecken, das im Nebengebäude der Mohr-Villa untergebracht ist. In der ansehnlichen Sammlung ortsgeschichtlicher Bilder und Dokumente kann man manches über Schriftsteller und Schriftstellerinnen eruieren, die in Freimann gelebt oder gewirkt haben. Etwa über Lena Christ, die im Jahr 1900 ein halbes Jahr als Bedienung in der nahegelegene Floriansmühle gearbeitet hat, als diese noch eine Gaststätte war, ähnlich dem Aumeister. Oder über den Dichter, Naturapostel und Lebensreformer Gusto Gräser. Der „Vater der Alternativbewegung“ und Mitbegründer der Reformsiedlung Monte Verità bei Ascona lebte von 1942 bis zu seinem Tod im Jahr 1958 in Freimann. Gräser erfahre momentan eine Art Renaissance, erzählt die Vorsitzende des Mohr-Villa-Vereins Brigitte Fingerle-Trischler, die sich aus ihrer Kindheit in Freimann selbst noch an die auffällige Erscheinung Gräsers erinnert. In seinen Texten und Gedichten gegen die „Zuvielisation“ bediente er sich einer sehr besonderen Sprache und entwickelte auch seine eigene „Bucheckernschrift“. Übrigens schrieb Gräser nicht nur selbst, sondern taucht auch als Protagonist in Werken seiner Zeitgenossen Gerhart Hauptmann und Hermann Hesse auf. Mehr über den Naturpropheten kann man in einer von der Mohr-Villa herausgegebenen Broschüre lesen.

Mohr-Villa Freimann e.V.
Situlistraße 75, 80939 München
www.mohr-villa.de

In unsere Reihe „Münchens Literarische Orte“ stellten wir bislang vor: Substanz, Autorengalerie, La Cantina, Vereinsheim, Streitfeld, Haidhauser Literaturbox1, Von-Parish-Kostümbibliothek, die Tolstoi-Bibliothek, Lesefüchse, Café Luitpold und Hörgang.