Eine Ausstellung der Monacensia im Olaf-Gulbransson-Museum in Tegernsee geht Schriftstellern und Künstlern nach, die dort zwischen 1900 und 1945 lebten.

Von Katrina Behrend Lesch

Zuerst waren es zwei fromme adlige Brüder, die es ins Tegernseer Tal zog und dort Mitte des 8. Jahrhunderts an einem „besonders schönen und sonnigen Uferstück“ ein Kloster gründeten. Offenbar stand die Wahl dieser höchst anmutigen Gegend nicht in Widerspruch zu ihrem bußfertigen Rückzug aus der Welt. Nach der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging die Benediktinerabtei in den Besitz der Wittelsbacher über, in deren Gefolgschaft siedelten sich weitere Adlige an, sozusagen als Vorreiter für die bald nachziehende Künstler- und Literatenschar. Zusammen genoss man die freie Natur, die frische Luft, das harmonische Miteinander von Gebirge und See.

Bereits um 1900 gehörte das Tegernseer Tal zu den „top ausgebauten touristischen Gegenden“, beschreibt Elisabeth Tworek die Situation. Die Leiterin der Monacensia, Münchens literarisches Gedächtnis, steht für das Konzept der Ausstellung. „Der Schwerpunkt liegt auf dem Wandel. Die Zeit zwischen 1900 und 1945 umfasst ja drei Epochen, vor dem Ersten Weltkrieg, dann zwischen den Kriegen, schließlich nach der Machtergreifung der Nazis.“ Was die verschiedenen Zeitabschnitte auszeichnet, lässt sich am Umgang der Künstler miteinander ausmachen. Leicht und unbeschwert war er in den Jahren vor und nach dem Großen Krieg, man sehnte sich nach dem einfachen ursprünglichen Leben auf dem Land, nach einer unverfälschten „heilen Welt“, suchte Erholung und Inspiration, um zu schreiben oder zu malen. All das bot das Tegernseer Tal in Hülle und Fülle und machte es zur Idylle schlechthin.

So zog, einer Einladung Folge leistend, der Maler August Macke frisch verheiratet 1909 für ein Jahr nach Tegernsee. Ludwig Thoma fand 1902 im Dörfchen Finsterwald seinen Ort zum Schreiben, die Simplicissimus-Redaktion traf sich bei ihm, und 1907 ließ er sich sein Haus „Auf der Tuften“ in Rottach mit Seeblick und eigenem Tennisplatz bauen. Thomas großer Freundeskreis zog weitere Künstler nach. Der berühmte Tenor Leo Slezak kaufte 1911 ein Bauernhaus in Rottach-Egern, der Maler und Karikaturist Olaf Gulbransson erwarb 1929 den Schererhof in Tegernsee, und Ludwig Ganghofer, leidenschaftlicher Jäger und Autor zahlreicher Heimatromane, weilte während seiner letzten Sommerfrischen in der am See gelegenen „Villa Maria“. Bekannt mit Thoma war die Familie der Schriftstellerin Grete Weil, geborene Dispeker, die in Egern ein stattliches Landhaus besaß. Auf dem Löblhof in der Wolfsgrub lebte der damals sehr erfolgreiche Schriftsteller und Bühnenautor Max Mohr, gelegentlich besucht von Thomas Mann, der schon in seiner Kindheit und nun mit seiner Familie einige Sommer am Tegernsee verbrachte. Die Pringsheims hielten sich in Wildbad Kreuth auf, die Brüder Rudolf und Albrecht Joseph luden ihre Freunde Carl Zuckmayer, Bruno Frank und Ödön von Horvath ein. Dass unter all diesen Künstlern auch viele Juden waren, spielte noch keine Rolle.

Zwischen den Weltkriegen nahm der Tourismus am Tegernsee an Fahrt auf, was Künstlern gefiel, daran begeisterten sich auch Städter. „Niemand kann sich heute vorstellen, was für ein stilles, verträumtes Dorf dieser aufgeblasene Kurort einmal war“, schrieb Grete Weil später über ihre Heimat Egern. Der Bevölkerung kamen die Sommerfrischler natürlich gelegen, für die nötige Infrastruktur hatte man gesorgt, Wanderwege angelegt, Ausflugslokale und Biergärten nicht vergessen. Noch war die Idylle nicht in Gefahr. Nach der Religion wurde nicht gefragt.

Das änderte sich jäh, als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen. „Auch deren Größen fanden Gefallen an der Schönheit der Natur“, sagt Elisabeth Tworek süffisant. „Nach 1933 drängten sie verstärkt ins Tegernseer Tal. Hans Franck, Heinrich Himmler bauten sich Landhäuser im dortigen Stil. Man ließ sich in Lederhosen fotografieren, Adolf Hitler bis zur Machtergreifung, danach kennt man ihn ja nur noch in Anzug oder Parteiuniform. Damals fing das mit den Heimatabenden an, wurde der Begriff Heimat für ihre Zwecke missbraucht.“ 1935 endete mit den Nürnberger Gesetzen das Miteinander von Künstlern jüdischer und nichtjüdischer Herkunft, die Familie Dispeker etwa musste ihr Haus verlassen, Max Mohr emigrierte nach Schanghai, wo er 1937 starb. Olaf Gulbransson benahm sich systemkonform, wurde Mitglied der Reichskulturkammer. Die Idylle hatte sich als trügerisch erwiesen.

Es gibt viel zu schauen und viel zu lesen in der Ausstellung. Gestaltet und inszeniert hat sie Katharina Kuhlmann mit großen Schaubildern, Grafiken, Aquarellen und Zeichnungen von August Macke, Thomas Theodor Heine, Sepp Mohr und Olaf Gulbransson, mit Fotos, Briefen und Originaldokumenten aus den literarischen Nachlässen von Ludwig Thoma, Ludwig Ganghofer, Grete Weil, Max Mohr und der Familie Mann. Sie erzählen vom kulturellen Wandel im Tegernseer Tal – eine Zeit, die nicht in Vergessenheit geraten sollte.

„Trügerische Idylle – Schriftsteller und Künstler am Tegernsee 1900 bis 1945“ im Olaf Gulbransson Museum,
Im Kurgarten 5, Tegernsee. Vom 28.5 bis 17.9.2017.

Geöffnet: Di-So10-17 Uhr. Eintritt: 6 EUR. Tel.: 08022-33 38. Die BOB fährt stündlich von München-Starnberger Bahnhof bis Tegernsee.

Das Buch zur Ausstellung, herausgegeben von Elisabeth Tworek, ist in der Reihe „edition monacensia“ im Allitera Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.