Sommer ist’s, die helle, leichtsinnige Zeit des Kofferpackens, Reisens und auch des Lesens: Zu viele Bücher einpacken lieber, als zu wenige, wie im letzten Jahr, als dann der Regen kam – aber welche? Der Blick auf die Bestsellerlisten zeigt uns: Die üblichen Verdächtigen. Donna Leon mit 23stem Brunetti, Martin Suters raffinierte Routine,
Houellebecqs Muslim-Konstruktion und dann noch jede Menge Krimis, Thriller, die psychologisch raffiniert und sprachlich vom Allerfeinsten sein sollten. Die Krimi-Wahl ist schwer im Angesicht der Wirklichkeit, die uns aus den Journalen anspringt. Kostprobe: Ein Landwirt, angeblich von seinen Kindern ermordet, von Hunden gefressen und doch Jahre später tot in der Donau aufgefunden – da ist’s schon schwer, einen Pageturner zu finden, der den Puls noch höher treiben könnte, wenn man die Füße irgendwo zwischen Waterloo und Wangerooge, Amrum und Antalya im mehligfein gemahlenen Sand stecken hat.

Waterloo, wie bitte? Das Schlimme ist doch: Ständig jährt sich irgendwas, jetzt plötzlich Waterloo und Bismarck! Beide feiern 200sten Geburtstag und lassen Bücher auf den Markt werfen, von denen man – um vor sich selbst bestehen zu können – doch mindestens eins gelesen haben muss. Vor kurzem war es erst der Alte Fritz. Dann Weltkrieg Eins und dann die Callas oder umgekehrt. Naturgemäß verderben sie einem den leichten Lektüresommer, nach dem man gelechzt hat wie nach der Mocca-Eiskugel und dem Campari in der schattigen Strandbar.

Lionel Jospin dagegen hat es richtig getroffen. Lionel who? Jaja, die Zeit ist so vergesslich. Der Mann war noch vor kurzem Premierminister und hat letztes Jahr endlich auf 250 Seiten derart mit Napoleon („Le Mal napoléonien“) abgerechnet, dass man dessen Namen eigentlich vergessen kann! Über den braucht man gar nichts mehr zu lesen, der ist in der Tonne, ein Glück! (Apro-pos „Tonne“: Da gäbe es auch noch die „Regentonnenvariationen“ von Jan Wagner, 57 Gedichte, preisgekrönt, meist harmlos, aber mal was anderes.) Und: es wäre hoch an der Zeit, dass
einer wie Jospin käme und unseren deutschen Reliquienschrein aufräumte:
Etwa „Vergesst Bismarck“, den „Alten Fritz“ und „Vergesst Friedrich Barbarossa“ sowieso! Alles Militaristen – ja Gerd, wo bleibst Du denn jetzt? Schröder, wenn Du nicht gerade mit Putin bist oder an deinen Haaren fummelst, dann könntest Du à la Jospin eine neue Beck-„Vergiss“-Reihe starten, mit finanziellem Erfolg! Wir rekeln uns derweilen schon mal unterm Sonnenschirm und lesen Süffiges und warten ab, was von Geschichte bleibt, wenn alle Kriegstreiber raus sind. Oder sollte man vielleicht doch dieses ganz dünne Waterloo-Büchlein einpacken, aus Bildungsgehorsam, das für 8,95 Euro, 127 Seiten?
W.H.