Die Münchner Illustratorin Rotraut Susanne Berner schafft nicht nur Kinderbuch-Klassiker, sondern gibt auch eine bibliophile Reihe
heraus.

Wimmelbücher machen süchtig – nicht nur Kinder. Sie sind, wie es die Zeitschrift Chrismon einmal beschrieben hat, die Buddenbrooks für die Kleinen. Die Schöpferin der Wimmelbücher und vieler, vieler anderer Kinderbücher ist die in München lebende Illustratorin und Autorin Rotraut Susanne Berner, die gerade mit dem Hans Christian Andersen-Preis ausgezeichnet worden ist. Seit drei Jahren ist die 1948 in Stuttgart geborene Künstlerin auch Herausgeberin von „Die tollen Hefte“, einer Buchreihe, die renommierte Illustratoren gestalten. Die 45 bislang erschienenen Hefte hat gerade eine Ausstellung in Bologna gewürdigt.

Nur 16 Seiten haben die Kinder-Buddenbrooks, doch die Wimmelbücher erzählen Hunderte von Geschichten – ohne ein einziges Wort. Rotraut Susanne Berner, zu deren Vorbildern der Kästner-Illustrator Walter Trier zählt, zeichnet auf sieben Papp-Doppelseiten Szenen aus dem Dorf, einer Stadt oder eines Kaufhauses – zu unterschiedlichen Jahreszeiten mit den immergleichen Protagonisten, ob es nun ein Schulkind ist, eine schwangere Frau, ein Tankstellenwart, eine Katze oder ein Esel. Sie alle lässt Berner unzählige Geschichten erleben. Die Wimmelbücher sind ein Klassiker – ein weiterer ist Karlchen, ein Bub mit Hasenohren. Seit 1994 schreibt die Münchnerin zu ihren Bildern auch eigene Geschichten. Karlchen ist im Kinderzimmer mittlerweile omnipräsent: Es gibt ihn nicht nur als Bilderbuch (ganz aktuell: Karlchen vor, noch ein Tor), sondern auch als Handpuppe, als Quartett, als Comic oder als Hörbuch, gelesen von Juliane Köhler.

„Rotraut Susanne Berner ist die derzeit renommierteste deutsche Kinderbuch-Illustratorin“, meint nicht nur die Frankfurter Rundschau. Etliche Jurys haben Berner geehrt: So erhielt sie 2006 für ihr Gesamtwerk den Sonderpreis Illustration des Deutschen Jugendliteraturpreises, in diesem Jahr den Hans Christian Andersen-Preis, mit dem in den Vorjahren unter anderen Joanne Rowling oder Salman Rushdie ausgezeichnet wurden. Berners Kinderbücher erscheinen seit Jahren und in hohen Auflagen – ihre „Tollen Hefte“ sind eher Raritäten: Gerade mal 3500 Exemplare gibt es von der jüngsten Ausgabe, dem Heft „Durch & Durch“ der bekannten Illustratorin Nadia Budde. Seit dem Tod ihres 2012 verstorbenen Mannes und Begründers der „Tollen Hefte“, Armin Abmeier, ist Berner die Herausgeberin dieser bibliophilen Reihe. „Mein Mann wollte es so, dass ich die Sache fortführe“, sagt die Münchnerin.

Vor 25 Jahren hat Armin Abmeier die „Tollen Hefte“ gegründet. Zunächst erschienen sie im Augsburger Maro-Verlag, seit 2001 bei der Büchergilde Gutenberg. Jedes Exemplar (im Format eines Schulheftes) ist ein kleines Kunstwerk in limitierter Auflage, mit mehrfarbiger Original-Flachdruckgrafik bebildert und mit Fadenheftung. Jeder Ausgabe ist eine Graphik beigelegt. Während das aktuelle Heft von Nadia Budde neben den Illustrationen nur kurze Texte bzw. Assoziationen zum Thema Paare enthält, sind andere Ausgaben durchaus literarisch(er): So gibt es beispielsweise Texte von Katherine Mansfield, Walter Serner, T.C. Boyle oder A.L. Kennedy, wobei das Heft der schottischen Schriftstellerin von Berner illustriert wurde. Die Reihe erhielt viele Buch- und Graphikpreise, unter anderem den Preis Stiftung Buchkunst. Illustratoren der „Tollen Hefte“ waren Axel Scheffler, Thomas Müller, Wolf Erlbruch, Volker Pfüller, Anke Feuchtenberger, ATAK, Katrin Stangl oder Jens Bonnke.

Für einzelne Exemplare (sie erscheinen zwei Mal im Jahr und kosten 14 Euro) zahlt der Liebhaber im Antiquariat bis zu 90 Euro. „Der Wolf Erlbruch ist mittlerweile vergriffen“, sagt Berner. Wie wertvoll, sehens- und lesenwert die „Tollen Hefte“ sind, konnte man im April in Bologna sehen – dort hatte das Goethe-Institut eine Ausstellung (mit)organisiert und einen Katalog herausgegeben. „Das war alles in einem großen Renaissancepalast“, erinnert sich Rotraut Susanne Berner. Ob man diese Ausstellung nicht auch in Deutschland sehen könne? „Erste Gespräche hat es mit dem Münchner Literaturhaus München gegeben“, sagt Berner. Das Ergebnis sei offen, ergänzt sie, nimmt ein Exemplar der „Tollen Hefte“ in die Hand und meint schmunzelnd: „Die sind bibliophil, aber nicht heilig“.

Ina Kuegler

P.S. „Die tollen Hefte“ gibt es bei der Buchgemeinschaft Büchergilde Gutenberg (in München erhältlich bei Literatur Moths, Rumfordstr. 48) und im Verlag Edition Büchergilde. Die Ausgaben der Edition Büchergilde können von Jedem und Jeder erworben werden, auch ohne Mitglied der Buchgemeinschaft zu sein.