Rebell, Weltbürger, Erzähler – Oskar Maria Graf im Literaturhaus

Von Antonie Magen

Am Anfang begegnet man ihm in nichts weniger als in sechs unterschiedlichen Varianten. Der Besucher, der dieser Tage den Ausstellungsraum des Literaturhauses betritt, wird gleich eingangs mit einem halben Dutzend Porträts von Oskar Maria Graf konfrontiert. Die Bilder entstanden im Jahr 1932 und waren als Scherz gedacht, den sich Graf und der Maler Karl Wähmann erlaubten. Im Sommer dieses Jahres verbrachten die beiden viel Zeit miteinander, während der Wähmann Graf in zwölf Bildern verewigte. Der Clou war, dass sie jeweils in unterschiedlichen Malstilen der Moderne gestaltet waren und unter dem Titel „Zwölf ungenannte Maler variieren ein Männerbildnis“ einem der NSDAP nahestanden Kunsthändler angeboten wurden.

Sechs der Bilder haben sich im Besitz der Familie Graf erhalten und markieren nun den Anfang einer Ausstellung, die anlässlich von Grafs 50. Todestag am 28. Juni im Literaturhaus gezeigt wird. Sie sind, von einigen Dokumenten abgesehen, die in die Entstehungsgeschichte des Romans „Das Leben meiner Mutter“ gehören, die einzigen Exponate, die Grafs Leben vor 1933 beleuchten. Denn die Schau „Oskar Maria Graf. Rebell. Weltbürger. Erzähler“ ist – das lässt der Titel nicht unbedingt vermuten – ausschließlich der Exilzeit gewidmet und beginnt damit genau an jenem Punkt, an dem Grafs autobiografische Erzählung abbricht. Der letzte Satz seiner 1966 erschienen Lebenserinnerung „Gelächter von außen“ lautet: „Und damit fing unser Exil an“. Zwar war ein zweiter Teil geplant, der sich mit Grafs Leben nach seiner Flucht beschäftigen sollte. Er kam jedoch nicht über das Stadium einiger Vorarbeiten hinaus. In diese Lücke stößt nun die Literaturhaus-Ausstellung.

Anfangs werden die frühen Exilstationen Wien und Brünn behandelt. In Wien verfasste Graf im Mai 1933 das Protestschreiben „Verbrennt mich“. Seine Werke waren zunächst von der Bücherverbrennung verschont worden, da die Nazis sie für die Blut- und Bodenliteratur vereinnahmen wollten. Bereits im folgenden Jahr übersiedelten Graf und seine Lebensgefährtin Mirjam Sachs nach Brünn, wo sie sich „sauwohl“ fühlten. 1938 schließlich begaben sie sich auf dem Seeweg in die USA. Weil sie als unverheiratetes Paar die puritanischen Moralvorstellungen der Amerikaner fürchteten, sicherheitshalber auf zwei unterschiedlichen Schiffen. Wie eine Reihe von Briefen bezeugt, unter ihnen so prominente Korrespondenzpartner wie die Familie Mann, war Graf in Amerika Teil eines Emigrantennetzwerkes. Als solcher engagierte er sich auch für andere Exilanten. So besorgte er z. B. dem in letzter Sekunde aus Wien geflohenen Harry Asher ein Visum, Geld und einen Mantel, genauer gesagt: den Mantel von Ernst Toller, der sich kurz zuvor erhängt hatte.

In Amerika entstand der Roman „Das Leben meiner Mutter“, der im Literaturhaus unter der Überschrift „Erinnerung“ präsentiert wird. Da er sich mit Grafs Familiengeschichte beschäftigt, fungiert er gleichzeitig als eine Art Rücklicht, das sein Leben vor 1933 beleuchtet.

Die nächste Abteilung widmet sich Grafs Sprachverständnis in Amerika, seinem Beharren auf der deutschen Sprache, die ihm längst zur Heimat geworden war. Vielleicht zur einzigen, die er nach seinem Gang ins Exil als solche bezeichnen konnte. – Denn insbesondere Grafs letzte Lebensjahre zeigen, dass die Kategorie „Heimat“ komplex und problematisch geworden war: 1958 hatte er die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten und alle bürgerlichen Freiheiten wiedergewonnen, vor allem die Reisefreiheit. In dieser Zeit beschäftigten ihn Pläne, nach Deutschland zurückzukehren, die er jedoch nicht umsetzte, zumindest nicht dauerhaft. Er besuchte das Land auf vier längeren Reisen, behielt aber seine Wohnung in New York bei. Er begab sich zur Kur nach Arizona, verglich die dortige Landschaft mit der bayerischen und war während seiner Deutschlandaufenthalte vom Heimweh nach Amerika getrieben. Das Exil war längst zu einem irreversiblen Dauerzustand geworden.

Mit der aktuellen Ausstellung erinnert das Literaturhaus nicht nur an den 50. Todestag seines „Hausheiligen“ (zu dieser Bezeichnung berechtigt nicht zuletzt das Denkmal, das die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer dem Autor mit der Brasserie „Oskar Maria“ gesetzt hat). Vielmehr begeht es auch sein eigenes 20jähriges Bestehen. Obwohl zu diesem Jubiläum eine neue Optik entworfen wurde, folgt die Graf-Retrospektive mit ihrer Mischung aus historischen (Lebens)Dokumenten und symbolschwerer Ausstellungsgestaltung der inzwischen wohlbekannten Literaturhaus-Ästhetik. Die Leinwände, auf die historisches Filmmaterial projiziert wird, etwa zum aufkommenden Nationalsozialismus oder zum Nachkriegsleben in New York, waren schon in früheren Ausstellungen zu sehen. Ebenso die Zitate, die in übergroßen Lettern als Wandschmuck dienen.

In der Mitte der Ausstellung befindet sich ein großer, kantig gestalteter, hölzerner Baum. Er ist als Sinnbild für Grafs Charakter gedacht, der auch im Exil mit den Orten seiner Kindheit und Jugend verwachsen blieb, und greift darüber hinaus ein Bild aus dem „Leben meiner Mutter“ auf, in dem Graf seine Mutter mit einem fest verwurzelten Baum vergleicht.

Das zweite Gestaltungssymbol sind fünf Schreibtische, in deren Schubladen kleine Monitore mit Graf-Interviews montiert sind. Sie sind gewissermaßen die Herzstücke der fünf Kapitel, in die die Ausstellung kategorisiert ist („Politik“, „Netzwerk“, „Erinnerung“, „Sprache“, „Heimat“). Der Gestalter hat darauf geachtet, dass ihnen etwas Provisorisches anhaftet, was zum Übergangszustand des Exils passt. Unnötig zu sagen, dass sie Grafs Bedürfnis zeigen sollen, in allen Lebenssituationen zu schreiben, und seien sie noch so behelfsmäßig gewesen.

Bleibt zum Schluss eigentlich nur die Frage, warum gerade die Graf-Originalaufnahmen in Schubladen gesteckt wurden. Ob das auch in übertragener Bedeutung zu verstehen ist? Dass als letztes Grafs legendäre Lederhose gezeigt wird, und zwar als unvermeidliches Requisit lebenslanger Selbstinszenierung und plakativer Provokation, lässt immerhin keine eindeutige Antwort zu.

Literaturhaus München, Salvatorpl. 1
Mo-Mi & Fr 11-19 Uhr, Do 11-21.30 Uhr, Sa/So/Feiertage 10-18 Uhr
Katalog: 10 €  (erhältlich in der Ausstellung).
Die Ausstellung ist bis zum 5. November zu sehen.