[LiSe 12/22] Kurzgeschichte: Ohne Yoga hätte ich das nicht überlebt

Von Monika Scheddin

März 2021 – ein Jahr Corona Pandemie, da sagt mir Pia: „Also ohne meine tägliche Meditation wäre ich nicht klargekommen“.

„Also ohne Yoga hätte ich das Ganze nicht überlebt“, sagt Karen. Sie zuckt nicht mit der Wimper, meint es also völlig ernst.

Hmmh, denke ich. Was hättest du denn gesagt? Vielleicht Kaffee, Kartoffeln und – SCHOKOLADE. (mehr …)

[LiSe 11/22] Kurzgeschichte: Mut der Leopardinnen

Von Christoph von Nostitz

Neun Jahre bin ich jünger als sie. Das ist bis heute so. Bei unserer ersten Begegnung war sie dreißig, ich einundzwanzig. Damals hatte sie allerdings die These vertreten, ich sei vier Jahre älter als ich. Sie hatte erklärt, das Leben erst zu spüren, seit sie vor dreizehn Jahren der Enge des Alpentals, in dem sie aufgewachsen war, entkommen sei. Daher sei sie eben erst siebzehn, statt dreißig, und ich somit vier Jahre älter als sie. (mehr …)

[LiSe 10/22] Kurzgeschichte: Die Spiegelin

Von Walter Brusa

Mein Schlafzimmer ist klein und unveränderlich. Ein Bett, ein Bücherschrank, wahrscheinlich noch ein paar Kleinmöbel, ich weiß es nicht, denn morgens, wenn ich aufstehe, mich im Dunkel oder Halbdunkel mühsam aus dem Bett wälze, sehe ich nichts, nicht nur, weil die Nacht sowohl noch mich selbst als auch das Zimmer umfängt, sondern auch weil Augenlicht und Geist erst ungefähr eine Minute benötigen, um dem zu Unzeiten sich erhebenden Körper zu folgen und sich zu entfalten. Nachts, wenn ich mich zu Bett begebe, ist es dunkel und ich sehe nichts. Ich bewege mich mit der Sicherheit eines Blinden auf den zwei, drei Metern, die Augen haben sich noch nicht an das Dunkel gewöhnt. Ich möchte nichts darauf verwetten, dass nicht irgendjemand eines der Schränkchen entwendet und verkauft hat. Ich sage „irgendjemand“, denn ich wüsste nicht wer, lebe ich doch seit Jahr und Tag allein. So gehe ich denn davon aus, dass sich dieses Zimmer nicht verändert, so wie auch mein einziges Motiv, es aufzusuchen, sich nicht ändert. (mehr …)

[LiSe 09/22] Kurzgeschichte: Eichendorffplatz

Am folgenden Sonntag fahren wir zum Eichendorffplatz, weil wir uns jetzt von Namen leiten lassen oder auch die Namen beim Wort nehmen wollen. Wir steigen am Partnachplatz aus. Ich mag das Design dieser Stationen, das den achtziger Jahren entstammt: die changierenden Farben von Cremefarben bis Grün, die sanften Abrundungen, die langen, am Ende leicht gewundenen Linien aus Neonröhren, alles ist gleitende Bewegung hier, unhörbares Fließen, ein Bezugssystem, das sich richtiggehend erfüllt, wenn die U-Bahn mit ihren blauen Sitzen in die Station einfährt. (mehr …)

[LiSe 06/22] Kurzgeschichte: Das Kind

Von Linda Benedikt

Ich hatte einst ein Kind. Ich kam zu ihm, wie die meisten Frauen zu Kindern kommen; es waren auf jeden Fall keine außergewöhnlichen Umstände.

Die Schwangerschaft verlief ohne Beschwerden, die Geburt war kurz und das Kind gesund. Ich gab ihm gerne meine Brust, war angetan von seinen blinden Blicken und hin und weg von seiner neugeborenen Frische. Die von Hungerschreien zerbrochenen Nächte störten mich nicht. Ich schubste sachte seine Wiege, wenn es greinte, legte es mir über die Schulter, wenn ich schrieb und korrigierte meine Texte, wenn es schlief. (mehr …)