Während draußen Sodom herrscht und Gomorra, in der Dichterstube ist Stille. Der Diskurs der Geschlechter mag noch so hohe Wogen werfen, Film- Regisseure grapschen und vergewaltigen, Chor- und Ballettleiter bedrohen und verführen Minderjährige, Musikhochschulen kannste sowieso vergessen, die Theater sind Dorados für Tyrannen, in olympischen Trainingscamps werden Sportlerinnen nicht nur gedopt sondern oft auch sexuell genötigt – nur der Dichter entzieht sich dem zuchtlosen Treiben, huldigt Buch um Buch dem Alterseros, wie Martin Walser, oder wirft sich auf vergangene Schlachtfelder wie Ralf Rothmann und Arno Geiger. Manch einer betreibt sieben Tage gründlich Nabelschau wie Simon Strauss, der Sohn von Botho, der das ja auch glänzend beherrschte. 

Sofern er als Seismograph feinster gesellschaftlicher Schwingungen dienen soll, der Dichter, so kann man, freilich vergeblich, an Michael Crichtons „Enthüllung“ aus den 90ern denken, der das Nötigungsthema längst aufgespießt hat. In seinem Schmöker dreht er diesen Spieß männlich-auflagenträchtig um, Frau bedrängt Mann – aber dass Chef-innen wirklich ihren untergeordneten Manager oder Buchhalter zum Sex erpressen, ist bisher in all dem Trubel kaum gerichtskundig geworden. Ja, der beidseitig erwünschte und heißersehnte Kuss in der Arbeit, vor dem jetzt in Schlagzeilen gewarnt wird, müsste geradezu staatlich prämiert werden – denn wo sonst sollen sich die arbeitsbesessenen Nerds beiderlei Geschlechts denn heute noch einvernehmlich näher kommen und die Menschheit mehren, wenn nicht im Büro, in dem sie den meisten Kaffee ihres Lebens trinken und das Bruttosozialprodukt hochschrauben?

Prüft man das Leben der Dichter und nicht ihr Schreiben oder Schweigen freilich mal so ganz sine ira et studio, also
altsprachlich trocken, ja, wie halten sie’s denn mit den Frauen, dann stößt man auf alle Lebens- und Liebesmodelle,
die sich nur denken lassen: Da ist der umtriebige Frank Wedekind, der ganz en passant Strindbergs Gattin schwängert, der Bertolt Brecht, der seine Jugendliebe (samt Kind) schlicht „aus den Augen verliert“ , der schüchterne J. W. Goethe, der sein Blumenmädchen fünfmal schwängert, bevor er es ehelicht, der tief-seriöse Münchner Hausgott, der sechs Kinder zeugt mit seiner Gattin und doch nie ganz den Verdacht loswird, das alles sei nur feines Tarnnetz über seinen aschenbachschen Trieben. Und selbst der noble Russe Vladimir Nabokov, der fast alle seine Werke „für Vera“ widmete, seiner großen Liebe, bedrängte im Berlin der 30er Jahre ein Dienstmädchen heftig – in all ihren Texten ist vom Kampf der Geschlechter, wie er jetzt ans Tageslicht kommt, kaum die Rede. Null Selbsterkenntnis, die Herren!

Also: Einfach mal ein „Sommer ohne Männer“? Gibt es auch schon als Roman, kam aus N. Y. vor etwa sechs Jahren. Nicht besonders erfolgreich.

W.H.