Ein literarischer Schutzraum

Friedrich Ani ist Stammkunde im Buchladen „Glatteis“

34 waagrecht: tödliches Nussaroma; 46 senkrecht: männliche Vorsilbe für Tötungsarten – ein Kreuzworträtsel für Krimifans. Spürsinn und Kombinationsgabe sind gefragt in diesem Ratespiel, das die Münchner Buchhandlung „Glatteis“ ihren KundInnen zum Jahreswechsel offeriert. Ausgedacht hat sich das Kreuzworträtsel ein treuer Kunde der Kriminalbuchhandlung – und Stammkunden hat dieser Buchladen viele. Einer von ihnen ist der wohl prominenteste und beste deutsche Krimi-Romancier: Friedrich Ani. Seit 15 Jahren kommt er in die Corneliustraße 31. „Von Anfang an war die Buchhandlung ein Zuhause für mich, eine Anlaufstelle, ein literarischer Schutzraum“, verrät der Münchner Schriftsteller.

Ani gehört damit zu den ältesten Stammkunden – schließlich gibt es „Glatteis“ erst seit September 2000. Kurz vor der Jahrtausendwende fassten Monika Dobler, die Inhaberin von „Glatteis“, sowie Gabriele Fauser, Frau des Autors Jörg Fauser, eine folgenschwere Entscheidung: „Das Leben im Büro ist langweilig – lass uns eine Krimibuchhandlung aufmachen“, meinten die beiden Pionierinnen und gründeten Münchens erste (und bislang einzige) Kriminalbuchhandlung. Vorbilder gab es im Jahr 2000 u. a. in Frankfurt, von dessen Buchladen „Die Wendeltreppe“ sich die beiden Damen bei einem Besuch inspirieren ließen. „Die Eröffnung unseres Ladens war dann ein voller Erfolg, nach drei Tagen war er praktisch leer gekauft“, erinnert sich Dobler. Danach begannen zähe Jahre – gut, dass Fauser und Dobler noch ihren eigentlichen Berufen nachgingen. Acht Jahre später starb Gabriele Fauser, Monika Dobler, die in einer theologischen Buchhandlung in Passau ihre Lehre absolviert hatte, musste „Glatteis“ allein weiterführen. Und das Geschäft läuft – schließlich stellt das propere Gärtnerplatzviertel viele StammkundInnen.

Friedrich Ani lebt seit 30 Jahren im benachbarten Obergiesing. „Vorher hatte ich in Schwabing gewohnt, was in den Siebzigern bis in die Achtziger hinein noch reizvoll war, dann nicht mehr. So wurde ich ein Giesinger, der ich im Herzen wohl schon immer gewesen war.“ Zu der viel beschworenen Gentrifizierung, die Giesing nun auch bedroht, meint Ani: „Veränderungen finden statt, wie es in einer Großstadt sein muss. Vieles wird dadurch Mist, manches wunderbar, das meiste fließt, und wir schauen, dass wir nicht untergehen.“

Manches wird wunderbar – das hat Monika Dobler mit ihrer Buchhandlung wirklich bewiesen. In den Räumen eines ehemaligen Getränkemarkts stehen jetzt prall gefüllte Bücherregale, auf mehreren Tischen stapeln sich die Bestseller und Geheimtipps. Zu Gast bei „Glatteis“-Lesungen waren so bekannte Autoren wie James Sallis, Dominique Manotti, Jörg Juretzka, Kristina Ohlsson oder Franz Dobler. Und Mitarbeiterin Anneliese Wasserer schwärmt über Monika Dobler: „Sie ist ein wandelndes Lexikon!“

Wer bei Kriminalromanen nur an Simenon, Wallace oder Patricia Highsmith denkt, entlarvt sich als absoluter Laie. Monika Dobler gibt einen Einblick in die verschiedenen Krimi-Genres: Da sind die klassischen Romane mit einem Ermittler. Die Thriller mit einer schnellen, heftigen Story. Die Cosy-Bücher mit „humanen“ Morden à la Agatha Christie. Die Dystopie-Krimis mit Chaos, Krieg und sich gegenseitig umbringender Menschheit. Die Science-Fiction- oder Psycho-Thriller. Die amerikanischen hard-boiled Krimis. Die französischen Noir-Bücher oder die Schlitzer-Romane, in denen Psychopathen Menschenkörper schlitzen, schneiden, fräsen … „Diese Krimis lesen vor allem Frauen gerne“, weiß Dobler. Kriminalromane hat Ani übrigens in seiner Jugend nur wenige verschlungen. „Ich habe alles gelesen, was mir in der Bücherei in die Hände fiel. Jemand musste ein Abenteuer erleben, das war das Wichtigste, ich war ja bloß ein Zimmerling.“

Mittlerweile ist der 56Jährige der wohl erfolgreichste deutsche Krimi- und Drehbuchautor, dessen Fangemeinde mindestens ein Buch pro Jahr erwarten kann. Zu seinem Arbeitspensum gefragt meint er: „Schaffenswut? Eher Schaffensfreude, Schaffensdrang, Schaffenslust. Erschaffungsbeglückungszustände.“ – Schaffenslust, die ihn zu Romanfiguren wie den Vermisstenfahnder Tabor Süden inspirierte. „Ich höre den Schatten der Verschwundenen zu. Vielleicht nehmen wir ein Echo wahr, das uns zu der Stimme führt“, sagt der Schriftsteller über seinen Titelhelden. Friedrich Anis Bücher sind große Literatur, das meint nicht nur Monika Dobler, die ohnehin der Ansicht ist, dass jeder gute Krimi ein Gesellschaftsroman ist. Und so stuft sie auch die Werke ihrer augenblicklich bevorzugten Krimi-Autoren ein, wie etwa Malla Nann („Tal des Schweigens“), Martin Calsow („Atlas – Alles auf Anfang“), Oliver Bottoni („Im weißen Kreis“), Dominique Manotti („Abpfiff“), Gene Kerrigan („ Die Wut“) oder Dennis Lehane („In der Nacht“).

Die schon seit Jahren beliebten Regionalkrimis kommen bei Doblers Aufzählung nicht vor. Friedrich Ani lässt eine wohlwollende Skepsis erkennen: „Ich kenne zu wenig der Regionalkrimis, finde aber, dass da teilweise wunderbar verschrobene, komische, ungewöhnliche Geschichten aus Gegenden erzählt werden, in der so mancher Mitbürger, mich eingeschlossen, nicht unbedingt tot überm Zaun hängen möchte.“
Ina Kuegler

P.S.: In unserer Serie „Meine Lieblingsbuchhandlung“ haben wir bislang u. a. Lehmkuhl mit Hans Magnus Enzensberger, die Autorenbuchhandlung mit Albert Ostermaier, Colibris mit Dagmar Leupold und den Buchpalast mit Christoph Well vorgestellt.