Ein expressives Wahrnehmungsprotokoll

Von Peter B. Kramer

Graubunte Anlage mit sportfestvielen Fahnenstangen, klug von einem Netz aus Straßen umspult, harrst Du hinter farbenschwirrenden Wimpeln versteckt. Natreen-süßes Musiksekret sickert in mein Ohr, unterbrochen von trostlos freundlichen Ansagen.

Ich dringe ein und durchquere den nervös-schwelgerischen Shopping-Dschungel: Lange Karrenreihen, wie schuppige Tausendrollfüßler aus fremdartiger Drahtwelt. Grabhügelartigen Paletten werden Opfergaben entnommen und auf Kassentischen dem mächtigen Gott TRANQUILIZER entrichtet.

„219 bitte nach 312, Ferngespräch!“

Hostalen-Haushaltswaren für Plastikfamilien, Polyethylen-Kacheln, antibakteriell, für übernatürliche Sauberkeit, Raum-Deo-Spräys für antiseptische Schlafzimmer, damit Albnächte nicht den Tag beschlagen. Sympatex-Oberbekleidung für ein Plastikleben.

„Der Partner ihres Vertrauens hält für jeden Geschmack etwas bereit.“

Sonderangebote mit Saugeffekt und neonstrahligen Polypenarmen – daneben Luxuskonsumgüter in hohler Gediegenheit. Überbordende Quantität – Platzangstschweiß feuchtet meine Achseln – raubt mir Platz, Lust und die Luft zum Atmen.

„Eine Putzfrau in die Spirituosen-
Abteilung!“

Zieh ein Los der deutschen Ex-IG-Farben-Lotterie und gewinn eine Traumreise in das Zauberland R O T: Rot, rot, rOT, roT, RoT, ROT, signal-rot, vornehm-rot, public-relations-rot, hey-rot, kauf-mich-rot, Stopplicht-rot, schau-mich-an-rot.

„Hausfrauen vergleichen Angebot und Preis.“

Und zwischen den Regalen der Hausdetektiv in bonbonroter Tarnjacke, durchsichtiges Teleskop unterm Arm. Schwärme von Gesichtern ziehen vorüber, in ihren Augen das stammhirnbetörende Warenangebot wiederspiegelnd.

„Und hier einige aktuelle Angebote aus unserer Textilabteilung: Autofahrerhosen, 45 % Polyester und 55 % Diolen, nur 45,- Euro.“

Denen im Leben sonst nichts geschenkt wird, drängen sich hier um Probierstände. Sales-promotion-stuntmen mit vorgestanzter Freundlichkeit, in der Hinterhand den Kreuz-Buben des Überredungs-Einmaleinses. Der Legoverkäufer, Haarwasser-seriös, mit auf Plastik geeichten Händen, spricht in glattgebügelten Floskeln zu andächtig lauschenden Eltern – doch kaum zu den großäugig schauenden Kindern.

„Machen Sie mehr aus Ihrem Geld, kaufen Sie bei Ihrem Partner: Herrenberufskleidung mit verdeckter Knopfleiste für nur 39 Euro.“

Karpfenlippige Konsumisten auf dem Oral-Trip, Leder-kalt-Jacken-Männer, Rentner in den Stollen ihrer Vorurteile, Stiefel-Frauen halten schlendernd Umschau im Eros-Center für Ersatzbefriedigungen aller Arten und Preisklassen: Verführerisch winkt die Edelnutte Kleid, lasziv gebogen an dünnen Nylon-Fäden. Whisky-Angebote – Flasche an Flasche – tuns für den gleichen Preis.

„Und hier ein Hinweis für durstige Kehlen: Coca-Cola, die Literflasche für nur 99 Cent!“

Ein Spiralnebel von erkaltenden, erloschenen, kurz vor der Neuronen-Explosion stehenden Planeten um mich: Einsame Fixsterne, Paare, sich zu nah umkreisend, von gegenseitiger Schwerkraft dicht am Boden gehalten – dazwischen die Stratosphären-Klänge des Konsum-Universums:

„Und noch ein Hinweis für durstige Kehlen: Fanta-Fanta, die erfrischende Literflasche für nur 98 Cent!“

Ich frage einen unruhig-apathischen Verkäufer nach Kerzen: Mit freundlich-müder Hydraulik-Geste weist er den Weg – Richtung Autozubehör …