Von Hans-Karl Fischer

Schon wieder! Ferdl wollte Geld von mir ausleihen. Dieses Mal gleich hundert Mark. Ich hatte keine Lust, ihm so viel auf einmal zu geben. Einen Tag später war mein Brustbeutel weg, in dem ich das ganze in vierwöchiger Ferienarbeit erworbene Geld aufbewahrte. Einem Helden wie mir war es zuwider, immer auf sein Geld aufpassen zu müssen. Weil Ferdl mit mir auf einem Zimmer war und mich angehauen hatte, kam eigentlich nur er in Frage. Ich sagte zu Ferdl, daß ich mit ihm reden müsse; er solle mit mir in den Kickerraum gehen. Dort versetzte ich ihm einen Magenschwinger, daß er zu Boden ging, sich am Solarplexus hielt und sich krümmte. 

„Du weißt genau, warum.“
Er nickte.
Wie er so da lag, tat mir Ferdl leid.
„Jetzt ist es auch wieder gut“, sagte ich.

Er stand auf und meinte, er habe immer gewußt, daß wir gut zusammenpaßten; ich sei sein Freund. Sein Freund war eigentlich Gustl, unser Zimmergenosse; ich nahm an, daß er zusammen mit Gustl das Geld verpraßte. Doch ein paar Tage später war das Schuljahr zu Ende, und Gustl verließ mit der Mittleren Reife die Schule.

Von Beginn des nächsten Schuljahres an hielt mich Ferdl aus. Ich brauchte jetzt nicht mehr auf den ledernen Brustbeutel Obacht zu geben, und mein Taschengeld schmolz zu dieser Zeit nie. Es waren nicht nur Getränke, sondern Currywürste und serbische Bohnensuppen, die wir bei diesen Gelagen konsumierten. Scham und Stolz waren die Ursache dafür, daß ich keinem Menschen von dem entwendeten Brustbeutel erzählte; jetzt kam auch noch die Genugtuung hinzu, das Geld in Viktualien zurückzubekommen. Zudem konnte ich die Eigenarten Ferdls beobachten, mit denen er seinen guten Ruf erhöhte. Er begrüßte jeden Geschäftsmann lauthals auf der Straße, ging in eine Apotheke und kaufte dort ebenso lauthals Präservative ein. Ferdl war der Akteur; diesen Nimbus konnte gerade ich ihm nicht mehr nehmen.

Ferdl setzte im Lauf des nächsten Schuljahres zahlreiche Aktivitäten durch. Er gründete eine Schülerzeitschrift, genau das, was ich so lange ins Auge gefaßt hatte, was mir aber nie gelungen war. Ferdl schaffte das. Er veranstaltete ein Kickerturnier für die ganze Schule; es fand vornehmlich in dem Zimmer statt, in dem ich ihn einstmals geschlagen hatte. Was mir jedoch auffiel, war: weder bei der Schülerzeitschrift noch bei dem Kickerturnier wurde ich zum Mitmachen eingeladen. Warum auch? Einen wahren Freund holt man nur bei besonderen Gelegenheiten hervor.

Ferdl verstand sich schon nach kurzem mit den Mitschülern bestens. Kein Wunder: nachdem ich ein oder zwei Jahre damit geprahlt hatte, was ich alles machen und durchsetzen würde, war man froh, mit Ferdl jemanden gefunden zu haben, der das auch wirklich tat. Ich schämte mich, weil ich mich als Prahler entpuppt hatte. Ich versuchte gar nicht, mich vor anderen zu rechtfertigen oder mich ihnen anzunähern: Ferdl war der Erlöser, der das erfüllte, was ich nur in Aussicht gestellt hatte.

Umso überraschter war ich, als ich nicht lange vor Abschluß des nächsten Schuljahres erfuhr, daß die Schülerzeitschrift einen fast vierstelligen Schuldenbetrag eingefahren hatte, den die Schule jedoch nicht tilgen wollte. Ferdl wurde von der Schule relegiert; da die Lehrer seine Schulaufgaben im letzten Jahr ohnehin nur mit der einen ganz runden Zahl als Note und mit der anderen als Punktebewertung versehen hatten, kam ihm das vielleicht sogar gelegen.

Ein Jahr später kam Ferdl zurück. Er kam in das Café, in dem wir so oft Currywurst und serbische Bohnensuppe gegessen hatten. Er trat etwas hochmütig auf und berichtete, daß er am neuen Schulort in einem Turnverein zum Kassier ernannt worden sei.

Die Gesichter meiner Klassenkameraden blieben ernst.

Ob er das Geld mitgebracht habe, wurde Ferdl gefragt.

Es stellte sich heraus, daß die Schülerzeitschrift, aber auch die vielen Preise des Kickerturniers dadurch finanziert worden waren, daß Ferdl von jedem Mitschüler einen dreistelligen Betrag aufgenommen hatte.

„Davon, daß du bei allen anderen von der Klasse auch Schulden gemacht hast, hast du mir nie erzählt“.

Während ich das sagte, erfaßte mich aber auch ein kurzer Schrecken, denn jeder Schulkamerad war wie damals ich selber zu stolz gewesen, mir von den Schulden zu erzählen, die Ferdl bei ihm hinterlassen hatte.

„Du bist ganz still“, blockte Ferdl meinen Einspruch ab. „Du hast am meisten davon gehabt. Du hast weder beim Kickerturnier noch bei der Schülerzeitung etwas tun müssen und hast das Geld, das übrig geblieben ist, mit mir verpraßt. Weit mehr, als seiner Zeit in deinem Brustbeutel war. Du bist der Begünstigte.“