Von Philipp Stoll

Zwei Stunden, so hatte es geheißen, würde die Durchschreitung dieses Canyons im ostafrikanischen Hochland dauern, dann würde man in der Ebene wieder auf die Teerstraße treffen. Eine Karte gebe es nicht, man brauche auch keine. Sicherheitshalber solle man dennoch einen ausreichenden Wasservorrat mitnehmen. Wir, ein Skandinavier, ein Amerikaner und ich, hatten jeder eineinhalb Liter dabei, es sollte schließlich leicht bergab gehen.  Die Landschaft war grandios. Der Weg zog sich allerdings in die Länge. Nach vier Stunden, in denen wir keiner Menschenseele begegnet waren und keine Zeichen von Zivilisation entdeckt hatten, war das Ende des Taleinschnitts noch immer nicht in Sicht. Die Sonne hatte sich im Zenit eingenistet. Von einer Felskante beobachtete uns eine Horde blassgrauer Affen, die meisten hockend, und es sah so aus, als ob sie uns schadenfroh und mitleidig belächelten. Schon kurz nachdem wir unsere Flaschen leergetrunken hatten, war mein Mund völlig ausgetrocknet. Meine heiß gelaufenen Gedanken kreisten nur noch um Wasser. Allmählich wandelte sich die Umgebung in ein staubiges, gottverlassenes, steiniges Gelände. Wir gingen hintereinander, hielten aber Abstand, um dem vom Vordermann aufgewirbelten Staub auszuweichen. Nach einer Weile offenbarte uns der Amerikaner, wir bräuchten keine Sorge haben, er habe als Notreserve zusätzlich noch einen dreiviertel Liter Wasser dabei. Etwas erleichtert setzten wir den Weg fort. Nach einer weiteren Stunde traten wir entkräftet aus dem Canyon hinaus in eine weite, steppenartige Ebene, von trockenen, dornigen Büschen bestanden. Eine Straße war nirgends zu sehen. In der Ferne erhob sich aus dem Buschwerk ein Gegenstand, den wir nach einer halben Stunde als Menschen erkannten. Ein junger Massai, schlank, hochgewachsen, traditionell gekleidet mit einem hellroten Umhang, einen langen Stock in der Hand. Offenbar hütete er die verstreut umherziehenden Ziegen. Zu uns gewandt erwartete er reglos unser Näherkommen. Der Mann hatte sicherlich genug Wasser für uns. Wir begrüßten ihn freundlich, aber erschöpft, er nickte zurück und lachte, sprach jedoch kein Wort. Unsere Versuche, von ihm zu erfahren, welche Richtung zur nächsten Straße führte, schlugen fehl. Seine wenigen Worte und spärlichen Gesten waren nicht eindeutig. Wir konnten nicht einmal sicher sein, ob er überhaupt verstanden hatte, was wir wollten. Mit einer eindeutigen Geste bat er um etwas zu trinken. Der Amerikaner war genauso verblüfft wie wir, zögerte dann aber nicht, sondern holte aus seinem Rucksack die noch volle Flasche und reichte sie dem Afrikaner. Es erschien uns selbstverständlich, unter diesen Umständen zu teilen. Der Andere nahm die Flasche mit einer routinierten Handbewegung, schraubte sie auf und trank. Wir sahen zu, wie das Wasser gluckernd aus der Flasche in ihn hineinlief, und wie sein Kehlkopf sich beim Schlucken bewegte. Ungläubig und hilflos beobachteten wir, wie er die Flasche leerte, sie noch ein Stück steiler ansetzte und bis auf den letzten Tropfen austrank. „Thank You“, sagte er, über das ganze Gesicht strahlend. Er reichte die Flasche zurück, verabschiedete sich und ging seinen Ziegen hinterher. Wir sagten nichts.