Von Stefanie Bürgers

Wenn die Erde schreien könnte wären wir schon alle taub“, krakeelt ein knallgelbes Graffiti auf grauer Ziegelwand im Alabama-Gelände. Es geht um Protest, um Autonomie. Die Ausstellung „Pop Punk Politik“ ist als „fließendes Projekt“ konzipiert. Während ihrer Laufzeit bleibt die Monacensia im Austausch mit Zeitzeugen, um Lücken im Gedächtnis der Stadt zu schließen. Eine Art Feldforschung also. Viele Exponate stammen aus der privaten Hand der jeweiligen Künstler*innen, Fotograf*innen, Kulturschaffenden und präsentieren eine junge, vielfältige Text- und Medienproduktion. Digital ist derzeit bereits „Volume 2“ zu sehen.

Die 1980er Jahre gelten als die „Gründerzeit“ neuer sozialer und urbaner Bewegungen angesichts von Ölkrise, Umweltzerstörung, Atomkraft, Kriminalisierung von Homosexualität, AIDS-Politik, Kampf um Frauenrechte. D.I.Y., Do-It-Yourself, lautet die Devise, eine Aufforderung, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Selbstbestimmung und Autonomie, „Gegen die Mächtigen“ wird zum Prinzip. Eine Gegenöffentlichkeit entsteht. Mit Dokumenten, Fotografien, Radio- und Songtexten, Lyrics, Manuskripten, Manifesten, Starschnitten ruft „Pop Punk Politik“ die 1980er in München in Erinnerung. Die Präsentation mutet streckenweise an wie die Info-Wand der Schülermitverwaltung. Selbstgestaltete Seiten, Fotos und „Infos“ hängen da herum, gleich um die Ecke steht ja auch die Hektographier-Maschine für Matrizen. Das sind sehr authentisch die 1980er. Was man heute in einem Blog finden würde, wurde damals durch Fanzines verbreitet, selbst verlegte und vertriebene Publikationen für eine bestimmte Szene oder für Interessengruppen. Die Bezeichnung setzt sich zusammen aus den englischen Begriffen „magazine“ und „fan“. Die neuen Copyshops in der Maxvorstadt erleichtern die Produktion der „selfmades“. Das Cover einfarbig, die Seiten voll von selbst geklebten Collagen, eigenen Fotos, Texten, die Hefte geklammert.

„Upstart“ wartet mit Konzertreviews und „was ist Anarchismus“ auf. „Luxuslüge“ versteht sich mit seiner Ausgabe vom Mai 1984 als „Propagandablatt der bewaffneten Poeten“, das sich gegen die „SPEICHELLECKERISCHE SPRACHE DER PSEUDOLITERTATUR“ wendet. Immer in Großbuchstaben gilt es, eine Literatur zu entwickeln

„DIE KNACKT
LÖCHER REISST
WUNDEN BEISST
WORTE WIE STEINE
GEWEHRSALVEN“.

Produktionsort war übrigens das Literaturbüro in der Milchstraße.

Im „geregelten“ Literaturbetrieb stellen sich Schriftsteller*innen den aktuellen Themen jede*r auf ihre/seine Weise. Carl Amery wird 1980 Gründungsmitglied der Grünen. 1988 kommt sein Essay mit dem Titel „Das ökologische Problem als Kulturauftrag“. Mit umweltkritischen Büchern entsteht ein ganz neues Genre. Der Klassiker „Grün kaputt“ von Dieter Wieland und Wolfgang Zängl erscheint 1984. Einer der ersten offen schwulen Autoren ist Gustl Angstmann. 1982 erscheint seine Biographie „Ein ganz normaler Mann“. Beim Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb 1984 tritt Rainald Goetz mit einem Text an, der sich aggressiv gegen das kulturelle, literarische Leben und den Wettbewerb selbst wendet. Während der Lesung ritzt er seine Stirn mit einer Klinge. Über Hände und Manuskript läuft Blut und so beendet er die Sache. Die „Ästhetik des Drastischen“ ist das Mittel der Wahl, nachzusehen in einer Videoaufzeichnung der Lesung.

Nur ein paar Schritte weiter rebellieren „Punks“ mit provokantem Auftritt – grell gefärbte Irokesenschnitte, Piercing, Nadeln – gegen den Konsum und damit auch gegen so genannte „Popper“, Unpolitische, die nur daran interessiert sind, materialistisch zu imponieren. Eine weitere Spielart, New Wave, beansprucht für sich, die aktuelle Avantgarde zu sein. So auch die Band F.S.K., Freiwillige Selbstkontrolle, die auf Schlagzeug verzichtet und Angebote großer Plattenlabels ausschlägt, um eine „neue Welle“ zu reiten.

Aus dem Nachlassbestand der Monacensia stammt der Beitrag über die exzentrische, punkige Münchner Künstlerin Manuela Hahn alias „Rabe Perplexum“. Sie überschreitet Tabus und gesellschaftliche Normen mit „Fluxus“. Die transdisziplinäre Kunstrichtung integriert Video, Musik, Licht, Geräusche, Bewegung, Handlungen und arbeitet mit diversen Materialien.

Alternative Kultur geht aber auch im etablierten Format. „Pop Sunday“ hat seit den 68ern einen festen Sendeplatz beim Bayerischen Rundfunk. Junge Autor*innen wie Gert Heidenreich, Elfriede Jelinek, Franz Dobler, Thomas Meinecke, Helmut Krausser … lesen unveröffentlichte Texte und entscheiden basisdemokratisch, was gesendet wird. Zeitgleich erfindet die erfolgreiche Sendung „Live aus dem Alabama“ die Talkshow und die neue Hallenkultur gleich dazu. Unrenovierte Industriehallen werden ohne Aufwand zu Veranstaltungsorten umfunktioniert. Ganz im Sinne von D.I.Y., und alle wichtigen Termine erfährt man aus Stadtzeitungen. Im Gewusst-Wo der Veranstaltungsseiten zeigt sich die Subkultur.

Jeder, der dabei war, erinnert sich anders an diese Jahre, was zu Diskussionen einlädt. Und wie sagte noch Falco? „Wer sich an die 80er Jahre erinnern kann, hat sie nicht miterlebt.“

„Pop Punk Politik“ von 30.04.2021 bis 31.03.2022, Monacensia im Hildebrandhaus, Maria-Theresia-Straße 23

Geöffnet Mo – Mi, Fr 9.30 – 17.30; Do 12.00 – 19.00
Ausstellungen auch Sa, So 11.00 – 18.00, Eintritt frei

Besuch im digitalen Raum unter www.muenchner-stadtbibliothek.de/pop-punk-politik
Austausch im Social Web unter Hashtag #PopPunkPolitik