Erzstabil und trutzig
Hans Pleschinkis neuer  Roman „Wiesenstein“

Von Katrina Behrend Lesch

Zweifellos war Gerhart Hauptmann ein großer Dichter, wegen seiner sozial engagierten Dramen galt er als eine Art König der Republik. So sind ihm seine Verdienste um die deutsche Literatur Wehr und Waffe genug , um im März 1945 nach einem Sanatoriumsaufenthalt das zerstörte Dresden zu verlassen und gen Osten nach Schlesien zu fahren. Ziel ist die Villa Wiesenstein, sein prächtiges Anwesen im Riesengebirge, wo er und seine Frau Margarete so weiterleben wollen wie bisher, luxuriös ausgestattet und von einer ergebenen Dienerschaft umsorgt. Ein Schutzbrief des sowjetischen Kulturoffiziers Oberst Sokolow ermöglicht Hauptmanns Verweilen in seinem geliebten Wiesenstein, „die mystische Schutzhülle meiner Seele“, aller Barbarei ringsum zum Trotz.

Vor allem diesem Teil des Romans, der das letzte Jahr im Leben des Gerhart Hauptmann darstellt – er starb am 6. Juni 1946 – , gelingt eine sehr genaue Beschreibung der Ereignisse und der darin verstrickten Menschen. Dabei benutzt Hans Pleschinski die Villa Wiesenstein, ein verschachtelter Komplex, „nicht anheimelnd … eher erzstabil und trutzig“, als Symbol für das nun zugrunde gehende Dichter-und-Denker-Deutschland. Hier die mit schwelgerischen Wandgemälden ausgestattete Paradieshalle, dort die Gräuel des Krieges, Raub, Mord, Vergewaltigung. Hier die Abendmahlzeiten an weiß gedeckter Tafel, dort Plünderung, Hunger, Zerstörung. Pleschinski verliert nie das Gleichgewicht des Schreckens aus dem Auge, spielt Täter und Opfer nicht gegeneinander aus. Und so erlebt man hautnah mit, was damals geschah, wie Vergeltung und Rache um sich griffen, Unsicherheit und Angst das Leben der Menschen bestimmten.

Hätte Hans Pleschinski es bei der Schilderung dieses trügerischen Idylls, des zwischen Selbstzweifel, luzider Erkenntnis und irrender Genialität hin und her schwankenden Dichters inmitten seiner Entourage belassen, wäre „Wiesenstein“ ein großer, zeitgeschichtlich relevanter Roman geworden. Leider wollte er gleichzeitig eine Biografie Hauptmanns schreiben, benutzt als Stichwortgeber die Menschen in seiner Umgebung. Sie sind Informationsträger, keine Charaktere. Dazu wird viel und ausführlich aus seiner Lyrik, seinen Versepen zitiert, papierenen Dialogen, gestelztem Sprachduktus Raum gelassen. Sich wieder Hauptmanns Leben und Werk zu nähern, dem Vergessen zu entreißen, bekommt damit nicht unbedingt Auftrieb. Den Roman als Beschreibung einer untergehenden Welt zu lesen ist dennoch ein Gewinn.

Hans Pleschinski
Wiesenstein
Roman, 554 Seiten, gebunden
C.H.Beck Verlag, München 2018
24 Euro