Das Literaturhaus erinnert mit einer Ausstellung an den Schriftsteller und Soldaten Robert Musil

Der Gesang des Todes“ ist die neue Ausstellung des Literaturhauses München über „Robert Musil und der Erste Weltkrieg“ überschrieben. Sie versteht sich als Beitrag zum literarischen Gedenken an den Ausbruch des 1. Weltkriegs vor hundert Jahren. Der österreichische Schriftsteller war aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt, und er hat seine Eindrücke und Erfahrungen in zahlreichen Texten höchst subtil und manchmal verstörend direkt beschrieben. Die Ausstellung macht die ganz persönlichen Beobachtungen eines Literaten in einer Ausnahmesituation sicht- und hörbar, ergänzt die Eindrücke durch Bilder und Exponate, und hilft mit Begleitveranstaltungen, sich ein Bild zu machen. Einem Urteil über den Schriftsteller und seine Haltung zum Krieg will sich die Ausstellung ausdrücklich verweigern.

„10. Oktober 1915: Der Laut des Geschosses ist ein anschwellendes und, wenn der Schuss über einen fortgeht, wieder abschwellendes Pfeifen, in dem er ei-Laut nicht zur Bildung gelangt. Große Geschosse nicht zu hoch über der eigenen Stellung lassen den Laut zum Rauschen anschwellen, ja zu einem Dröhnen der Luft, das einen metallischen Beiklang hat. So gestern auf dem Monte Carbonile, als die Italiener von der Cima Manderiolo auf den Pizzo di Vezzena schossen und die Panorotta über uns weg auf die italienischen Stellungen. Der Eindruck war der eines unheimlichen Aufruhrs in der Natur. Die Felsen rauschten und dröhnten. Gefühl einer bösartigen Sinnlosigkeit.“ So schreibt ein Mann in sein Tagebuch, der von Kindesbeinen an in Militärschulen ausgebildet wurde und sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat. 1915 hat er allerdings auch schon eine Menge anderer als von militärischer Zucht und Ordnung und den Geräuschen des Krieges definierte Erfahrungen gemacht. 1901 absolvierte er, im Alter von 20 Jahren, sein Examen als Ingenieur, studierte ab 1903 Philosophie und Psychologie in Berlin, entwickelte 1906 den Musilschen Farbkreisel und promovierte 1908 über das Thema „Beitrag zur Beurteilung der Lehren Machs“, eines Physikers, der sich mit Fragen der Philosophie auseinandersetzte.

Als Robert Musil 1914 in den Krieg zieht, ist er Reserveoffizier, seit drei Jahren verheiratet und aus Überzeugung in den Südtiroler Bergen, zunächst an der Front, dann in der Etappe. Er erlebt den Gebirgskrieg mit allen Sinnen, und er beschreibt seine Erlebnisse mit Worten, die dem Leser noch heute nahe gehen. „Über ihn schossen sie, Freund und Feind, und er lag zwischen beiden, von beiden verlassen wie Brot, das gegessen ist, von beiden mit der gleichen Herzlosigkeit bedroht. Shrapnels zerrissen die Luft, von Granaten aufgeworfene Erde überstäubte ihn, er konnte nicht flüchten, noch Schutz suchen; eine namenlose Angst, Einsamkeit und Verachtung quälten ihn, machten ihn erstarren, dann verlor er das Bewusstsein“, heißt es in „Ein Gesang des Todes“, und weiter: „Die Kriegsmaschine arbeitete langsam und rostig.“ Die Ausstellung verfolgt die biographischen Stationen und stellt den Bezug her zu den literarischen Beiträgen des Autors in Rahmen von Werkinseln. So wird, als Beispiel, der Fliegerpfeil aus einem italienischen Flugzeug, der Musil nur knapp verfehlt, in der Erzählung „Die Amsel“ verarbeitet.

Die Ausstellung vermittelt, wie ein Beteiligter den Krieg erlebt hat. Karolina Kühn, gemeinsam mit Literaturhausleiter Reinhard G. Wittmann im Kuratorium, lässt den Autor selbst sprechen und den Besucher so ganz nah heran an eine Erfahrung, die viele heute zum Glück nur vom Hörensagen kennen. Musil, das wird eindrücklich gezeigt, war einer von vielen, aber ganz einzigartig in der Art, wie er seine Erlebnisse und Eindrücke in Worte fasste. Und natürlich haben sie auch nach 1918 eine große Rolle in seinem Leben und seinen Werken gespielt, auch wenn er, wie Kühn betont, den Krieg als solchen aus den veröffentlichten Texten eliminiert hat.

„Man kann den Krieg auf die Formel bringen: Man stirbt für seine Ideale, weil es sich nicht lohnt für sie zu leben. Oder: Es ist als Idealist leichter zu sterben als zu leben. Eine ungeheure Flaute lag über Europa und wurde wohl am drückendsten in Deutschland empfunden“, formuliert Musil um 1918, im Rückblick auf den Kriegsausbruch und die weit verbreitete Begeisterung. Hat Musil seine Beteiligung bereut? War er Militarist? Und wird er zum Pazifisten, als er 1922 schreibt: „Wir waren früher betriebsame Bürger, sind dann Mörder, Totschläger, Diebe, Brandstifter und ähnliches geworden…“? Auf diese Fragen wird jeder Besucher seine eigenen Antworten suchen (müssen).
Ursula Sautmann

Die Ausstellung im Erdgeschoss des Literaturhauses ist Montag bis Freitag von 11 bis 19 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 5/3 Euro (Studierende zahlen an Montagen 2 Euro).