Schwabinger Kaffeebohnen

Die „Kuhle“ ist Kult: Hans Magnus Enzensberger und sein Lieblingsbuchladen Lehmkuhl

„Lehmkuhl geht’s gut“, sagt Hans Magnus Enzensberger über seine Lieblingsbuchhandlung. Da schluckt man erstmal. Meint der Mann das wirklich? Das große Lamento über Amazon, macht der Branche die Kunden abspenstig, und da soll es einer Buchhandlung gutgehen? – „Amazon, die ignorieren wir einfach“, redet Enzensberger fröhlich weiter. Die Furcht mancher Autoren, sie könnten wegen Negativaussagen im Rating des Internetriesen herabgestuft werden, schüttelt ihn nicht. Der agile 85jährige sucht die „Kuhle“ oft mehrmals wöchentlich auf. –„Ist ja so praktisch für mich. Sie liegt über die Straße, die Buchhändlerinnen dort wissen Bescheid, kennen ihre Kunden, man kann die Bücher in die Hand nehmen, das sind paradiesische Zustände.“ – Mehr gibt es für ihn nicht zu sagen, und knapper und besser hätte man auch nicht auf den Punkt bringen können, was eine Buchhandlung von einem Onlineladen unterscheidet.

Michael Lemling, Geschäftsführer von Lehmkuhl, sieht das genauso. Er kann sich in seinem Stuhl zurück- und an eine über 100jährige Geschichte anlehnen. 1903 von Georg Steinicke gegründet, 1913 von Fritz Lehmkuhl übernommen, von 1934 bis 2005 im Besitz der Familie Schumacher, gehört der Laden heute den Verlegern Wolfgang und Hans-Dieter Beck. Ein Glücksfall. Eine Schwabinger literarische Buchhandlung in den Händen eines großen Schwabinger Traditionshauses. „Wir konnten vom Konzept her intakt bleiben, jenseits der Branchenentwicklung, mussten uns keine neuen Flächenkonzepte einfallen lassen, keine neuen Warengruppen aufnehmen. Wir sind die Stadtteil-Buchhandlung geblieben, die wir immer waren, traditionell und traditionsreich.“

So betritt man den Laden auch nach dem Umbau in Sommer 2012 mit Heimatgefühlen. Nach wie vor präsentiert er sich als langer Schlauch, mit einer großzügigen Ausbuchtung im Eingangsbereich, dem mit Büchern beladenen Flügel – Lehmkuhls Leitmotiv – und der Kassentheke, mit zwei kleineren Ausbuchtungen weiter hinten. Hier herrscht die Literatur, die schöngeistige und die unterhaltende, das Arsenal der Krimis und Thriller, die Kunst- und Fotobände, die Hörbücher und auch der Tolino, der eBook-Reader der Buchhandlungen. „Wir haben nichts gegen eBooks“, sagt Lemling. „Die Offenheit für die Digitalisierung muss sein. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes und wird das gedruckte Buch nicht von der Bildfläche verschwinden lassen. Es sind ja beileibe nicht nur die Jungen, eher die 50plus-Leser, die sich dafür interessieren und sich von uns vor allem auch technisch beraten lassen.“

Im ersten Stock dominieren die Sachbücher, die Sprach- und Reiseführer, Musik-CDs und die Kinder und Jugendliteratur. Damit aus kleinen Lesern beizeiten große werden, widmet sich ihnen das Label Lehmcool mit einem besonderen Programm zum Bücher erleben, Autoren kennenlernen, Spaß haben. Dazwischen nicht zu vergessen die berühmte Treppe. Bei Lesungen, die zu organisieren in dem schmalen Laden ein wahres Kunststück ist, reißen sich manche Leute um einen Platz darauf. Dass Lesungen rückläufig sein sollen konnte Lemling bisher nicht wahrnehmen, im Gegenteil, der Bedarf an ihnen sei gewachsen. „Vielen Menschen ist die Tuchfühlung mit den Autoren eben wichtig und bei uns möglich. 80 Leute passen in den Laden, das ist eine angenehme Zahl. Aber einmal im Jahr machen wir die große Nummer, mieten das Audimax, tun uns mit den Kammerspielen und dem Residenztheater zusammen. Da zeigen wir, dass wir dazu auch fähig sind.“

Der Autor Enzensberger hingegen wehrt, auf Lesungen angesprochen, ab. Selber liest er nicht, nicht einmal aus seinem im Vorjahr so erfolgreichen autobiographischen Rückblick „Tumult“. Er zieht es vor, andere zu empfehlen, weniger bekannte Kollegen vorzustellen.

Michael Lemling wechselte 2006 von Carolus in Frankfurt zu „Münchens renommiertester Buchhandlung“ (laut Merian). Über das, was sich unter seiner Leitung seitdem getan hat, berichtet er mit Understatement. Etwa über 5plus, die seit 2009 bestehende Kooperation von anfangs fünf Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die inzwischen auf acht angewachsen ist. Das Kundenmagazin erscheint zweimal im Jahr gratis, mit Beiträgen namhafter Autoren und Buchempfehlungen der Mitarbeiter, Lesetipps par excellence. Dazu gibt es jährlich eine Art Jahresgabe, ein besonderes Stück Literatur in einer exklusiv edierten Ausgabe. Erweitert hat Lemling den Weihnachtsladen im Gartenhaus auf November und Dezember, festgehalten hat er an Traditions-Veranstaltungen wie Kundenfeste, Fahrten zu den Büchermessen, Bücherflohmärkte u.a. Lehmkuhl ist Mitglied des Vereins Buy Local und setzt sich damit für den unabhängigen Einzelhandel ein.

Mit einem Einkauf bei Lehmkuhl rettet man nicht gleich die Welt, heißt es in der Werbung, aber die Vielfalt Schwabings. Dass die Selbstbedienungs-Kaffeemaschine, die neben der gemütlichen Sitzgruppe im Hintergrund des Ladens steht, mit Bohnen aus einer Kaffeerösterei ums Eck gefüttert wird, ist so eine Geste.
Katrina Behrend Lesch

In unserer Reihe „Meine Lieblingsbuchhandlung“ stellten die „LiteraturSeiten  München“ in der ersten Folge den Münchner Autor Christoph Poschenrieder und „Buch & Bohne“ vor.