Es ist tiefster Winter. Eisige Winde aus Labrador haben die Stadt mit Schnee zugeschüttet. Das Raffles in der Lexington Avenue, American Breakfast für zwölf Dollar fuffzich, please wait to be seated. Ich bin Stammgast. Ich darf einen Wunsch äußern:

„Nicht zu nah am Eingang, bitte.“

„This one okay, Sir?“

Ja, vielen Dank. Jeder Platz ist in Ordnung, sofern er nicht am Eingang liegt. Ich wohne im Radisson East Hotel, das sich 25 Stockwerke über diesem Lokal erhebt. Gestern Abend war der Bürgermeister im Fernsehen. New York hat den Notstand ausgerufen.

„Das Übliche, Sir?“

„Ja, das Übliche, vielen Dank.“

Amerikanisches Frühstück, Bacon, die Eier gescrambelt, Orangensaft, Kaffee. Der Speck wird unter dem Messer zer-bröseln, die Eier werden pampig sein, der Orangensaft warm und der Kaffee ungenießbar. Ich bin Stammgast. Ich weiß, was mich erwartet. Aber der Platz ist gut. Ich sehe hinaus in dieses Schneetreiben, auf diese Gebirge von Schnee, unter denen sich geparkte Autos verbergen, und auf die vermummten Gestalten, die den Gehsteig entlanghasten. Lexington Avenue ist ein Canyon. Die Wolkenkratzer sind alt und dunkel, nach oben hin verschwinden sie im Schneegestöber. Schräg gegenüber liegt das Waldorf Astoria. Ich beobachte das Kommen und Gehen der Taxis und der Limousinen, deren Überlänge dem Fremden grotesk erscheinen muß. Ein kleiner Schneepflug sorgt dafür, daß die Herrschaften nicht zu tief im Schnee versinken.

Das Frühstück kommt. Der Speck ist bereits zerbröselt, die Eier sehen pampig aus, Orangensaft und Kaffee werden so sein, wie sie immer sind. Immer wenn neue Gäste kommen, fegt ein eisiger Wind ins Lokal. „Please wait to be sea-ted“. So lange die Herrschaften vor dem Schild stehen und sich nicht entscheiden können, stehen beide Türen des Windfangs offen. Ich halte meine linke Wade gegen die Heizung. Das Fenster reicht bis zum Boden. Draußen setzt sich gerade ein Bettler auf das schmale Fensterbrett, über und über beladen mit Plastiktüten. Er trägt Moonboots, einen Mantel, den Schal hat er sich um den Kopf gewickelt. Handschuhe hat er keine.

Winternotstand in New York. Bei Winternotstand darf die Polizei die Obdachlosen auch gegen deren Willen in ein Heim verfrachten. Erfrorene machen keine guten Schlagzeilen. Der Mann rafft seine Tüten zusammen, stemmt sich gegen die Tür und stellt seine Habe in den Windfang. Alles geht schneller, als dass irgendjemand ihn daran hätte hindern können. Dann steht er an der Theke.

Der Mann an der Kasse, wie stets in dunklem Anzug und etwas zu vornehm für den zerbröselnden Speck und das jämmerliche Besteck und das billige
Neonlicht, kommt hinter der Theke hervor. Es gibt eine kleine Diskussion, er macht eine höfliche Handbewegung in Richtung der Tür. Für einen Moment vergesse ich das Waldorf Astoria und die Limousinen und den kleinen Schneepflug. Der Mann stellt sich zu seinen Tüten in den Windfang. Jetzt wäre die Gelegenheit, ihn auf ein Frühstück einzuladen und etwas wirklich Authentisches über diese Stadt zu erfahren. Für zwölf Dollar fuffzich.

Gäste kommen und Gäste gehen, eisige Winde fegen ins Raffles und tragen den Geruch des Mannes herein. Vor dem Waldorf Astoria halten die Limousinen. Ein Page mit riesigem Schirm öffnet den Schlag. Der Schneepflug wartet, bis er weitermachen kann. New York, und die Wolkenkratzer verschwinden oben im Schneegestöber. Ich drücke meine Wade gegen die Heizung. Den Mann lade ich nicht ein.

„Ich wollte ihn einladen“, sage ich, „ich wollte mit jemandem reden, der die Stadt von der anderen Seite kennt.“

„Das wäre nicht gutgegangen.“

Die Frau trägt eine bombastische Pelzmütze, die sie auch in Starbuck‘s Coffee House nicht abgelegt hat.

„Du wohnst im Radisson East? Du isst dein Frühstück immer im Raffles? Stammgast hin oder her, es hätte einen Eklat gegeben. Sie hätten dich nicht mehr bedient. Du müßtest dein Frühstück jetzt anderswo essen.“

Man weiß bei den Amis nie, ob sie Du oder Sie sagen. Ich denke mal, daß diese hier bereits Du sagt. Sie zwinkert mit den Augen, während sie mich über ihre Stadt belehrt. Ich könnte zum Frühstück auch hierher kommen, zu Starbuck‘s, zwei Blöcke nord von Radisson und Raffles, wo die Tische immer knapp sind und man immer jemanden kennenlernt.

„Und?“, fragt sie nach einer Weile, „hat er was bekommen?“

„Eine Papiertüte hat er bekommen. Keine Ahnung, was da drin war. Und ungenießbaren Kaffee, wie auch ich ihn jeden Tag trinken muß. Dann haben sie ihn fortgeschickt.“

Die Fenster reichen bis zum Boden. Ich drücke meine Wade gegen die Heizung.

„Sandwiches waren da drin.“

Die Frau muß es wissen. Sie lebt in dieser Stadt. Sie arbeitet in dem Citicorp-Wolkenkratzer gleich nebenan. Sie gönnt sich diesen Kaffee, bevor sie mit dem E-Train nach Queens hinüberfährt. Wir schauen hinaus auf die Lexington Avenue in dieses Schneetreiben und auf diese New Yorker, die es immer eilig zu haben scheinen.
Paul Holzreiter