Die Büchergilde Gutenberg hat schon knapp tausend Genossen – Bertelsmann Lesering nur noch Historie

300.000 Mitglieder hatte sie im Jahr 1964, der 40. Geburtstag wurde in der Frankfurter Paulskirche gefeiert. Festredner war Erich Kästner, er gratulierte mit einem Gedicht: „Dass sich der Mensch durch Bücher bilde, schuf Gutenberg die Büchergilde“. Das sind Glanzlichter aus der Geschichte einer Institution, die 1924 von Buchdruckern in Leipzig gegründet wurde: die Büchergilde Gutenberg. Mittlerweile hat die Buchgemeinschaft nur noch 60.000 Mitglieder – aber sie lebt. Während der Medienriese Bertelsmann vor wenigen Monaten sein letztes Buchclub-Geschäft geschlossen hat und damit der Lesering der Historie angehört, nimmt die Büchergilde an Fahrt auf: Sie ist eine Genossenschaft geworden, mit derzeit 950 GenossInnen.

Schrankwand, Fernseher, Sitzgarnitur und Aquarium – das prägte ein deutsches Wohnzimmer in den 60er und 70er Jahren. Und in der Schrankwand standen sie meterweise: die Bücherrücken vom Bertelsmann Lesering. Seine besten Jahre hatte der Buchclub nach der Wende mit sieben Millionen Mitgliedern und 320 Filialen. Der Umsatz erreichte 700 Millionen Euro. Bertelsmann verdiente mit seinem Buchclub so gut, dass andere Geschäfte ausgebaut werden konnten – heute ist das Unternehmen aus Gütersloh Europas größter Medienkonzern. Das Ende des Buch-Clubs gab Bertelsmann vor knapp zwei Jahren bekannt: Es gebe keine wirtschaftliche Perspektive. Dabei hat sich der Umsatz im Buchhandel laut Börsenverein in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert, wohl aber die Vertriebswege. Amazon und Co. drängen immer weiter nach vorn. Die Kunden waren nicht mehr bereit, alte Bindungen beizubehalten – und die ging man beim Buchclub ein: Immerhin musste das Lesering-Mitglied alle drei Monate mindestens ein Buch bei Bertelsmann kaufen.

Diese Bindung gibt es auch bei der Büchergilde Gutenberg – einmal im Quartal muss das Mitglied ein Buch oder eine CD kaufen. Doch die Bücher sind künstlerisch hochwertig illustriert, und zwar so schön, dass sie nahezu jährlich von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet werden. Seit ihrer Gründung legt die Büchergilde Wert auf Buchkultur und hat damit Literaturgeschichte geschrieben. Zu dieser Historie gehört auch die Intention der Gründer von 1924 und der Arbeiterbewegung, dass ärmere Leute leicht und preiswert Zugang zu Büchern haben sollten. Ins Programm aufgenommen wurden damals moderne Autoren wie B. Traven, Oskar Maria Graf, Upton Sinclair, Jack London oder Mark Twain. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde die Büchergilde gleichgeschaltet; das Unternehmen wich in die Schweiz aus und gründete sich 1945 neu. Bis 1998 gehörte die Buchgemeinschaft zur Gewerkschaftsholding BGAG, wurde später herausgelöst und an fünf vormalige Mitarbeiter, darunter Mario Früh, verkauft.

Mario Früh ist heute der Geschäftsführer der Genossenschaft Büchergilde. Genossenschaften – die Organisationsform der Zukunft ? „ Ja“, sagt Mario Früh. „Ich denke, dass die Genossenschaft eine Zukunft hat und dass sich aufgrund des schwieriger gewordenen Verhältnisses mit den Banken dieser Trend verstärken wird.“ Im März 2014 fiel die Entscheidung, die Büchergilde als Genossenschaft weiter zu führen. Ein Jahr später waren bereits 300 Anteile à 500 Euro zusammengekommen, wie viele Anteile es derzeit sind, wird sich auf der Genossenschaftsversammlung im Juni zeigen. Kunden werden zu Eigentümern – mit dieser ganz neuen Bindung will Mario Früh „die Existenz der letzten und einzigen Buchgemeinschaft“ Deutschlands sichern.

Mario Früh setzt auf das gutgemachte Buch und sieht in E-Books oder Tablets keine Konkurrenz. Erfolgreich will die Büchergilde mit dem Entdecken neuer in Deutschland noch unbekannter Autoren sein. Fährtensucher ist dabei seit Jahren der Schriftsteller Ilija Trojanow, der die Reihe „Weltlese“ betreut. Wagemutig und wegweisend ist unter anderem auch das Genre der Graphic Journey, Reiseberichte in Buntstift-Skizzen, gezeichnet vom Illustrator und Autor Sebastian Lörscher, der von der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet wurde. Und Kult sind bei der Büchergilde bereits seit Jahren „Die Tollen Hefte“, illustratorischer Underground aus Künstlerhand. Alles in Fadenknotenheftung. Wer lieber auf das „Bewährte“ setzt, wird auch fündig: Im neuen Programm finden sich u. a. Titel von Javier Marias, Henry James, Hans Fallada oder Rafik Schami. Schami schwärmt – wie seinerzeit sein Kollege Erich Kästner – von der Büchergilde: „Sie verbindet Engagement mit höchstem Anspruch an Kunst und ist eine große Stütze der demokratischen Lesekultur.“
Ina Kuegler

P.S. Wer sich in München vom Angebot der Büchergilde überzeugen will, kann dies bei Literatur Moths (Rumfordstr. 48, Nähe Isartorplatz) tun. Infos auch unter www.buechergilde.de