Form Follows Function ist eine der schönsten Alliterationen, die Architektur und Design anzubieten haben, aber trotzdem nicht wahr. Würde es zutreffen, bestünden Automobile aus einer Schachtel mit vier Rädern und Häuser aus Wänden mit Fenstern und Türen in menschenwürdigen Dimensionen. Wer mit einem SUV zur „Elphie“ fährt, weiß, was ich meine.

Das Jahr 2017 hatte noch gar nicht richtig begonnen, da warf „DIE ZEIT“ schon mit einer Sonderbeilage zum 100. Geburtstag des „Bauhaus“ um sich – für 2019 (in Worten zweitausendneuzehn!). Man kann ja zu wichtigen Jubiläen gar nicht früh genug dran sein, denn wer zu spät kommt …

Am Ende der mörderischen Kaiserzeit mit Pickelhaubenromantik, und Monarchengroßmannssucht sehnten sich nicht Wenige nach überschaubareren Dimensionen, schlichterem Baustil und einfachen, aber bezahlbaren Möbeln. Das Bauhaus war nicht die einzige Schule, die aus all den Nachkriegswünschen greif- und lesbare Manifeste zimmerte, aber sicher die lauteste und konsequenteste. Dabei auch noch ganz unbekümmert in der Adaption von Zitaten – heute hieße das Ideenklau. So wurde das FFF (siehe oben) des amerikanischen Architekten Louis Sullivan (der es seinerseits schon beim Bildhauer Horation Greenough entlehnt hatte) genauso in die Leitsätze des Bauhaus’ eingegliedert wie die Neuschöpfung einer geometrischen Antiqua-Schrift namens „Futura“, die Paul Renner im Umfeld des Stadtplanungsprogramms „Neues Frankfurt“ 1927 geschaffen hatte. Sollte ich noch erwähnen, dass zeitgleich Peter Behrens eine sehr ähnliche Grotesk-Schrift gefunden hatte? Wir stehen alle auf Schultern von Riesen.

Der besondere Reiz der „Futura“ lag nicht nur in seiner Reduktion auf Typen ohne Serifen – die gab es schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts – sondern in der Angleichung der Strichstärken und in den konzentrischen Rundungen. Mitte der 20er-Jahre wurde das in Deutschland als so modern empfunden, dass Renner sogar noch „antihandschriftliche“ Formen für a, g, n, m und r festsetzte, die so unleserlich waren, dass sie bereits ein Jahr nach Erscheinen nicht mehr angeboten wurden. Bauhausleiter Walter Gropius war von der „Futura“ so begeistert, dass er sie als die best-lesbare Schrift aller Zeiten titulierte. Wir wissen heute aus den Leselabors, dass dies keineswegs so ist. Unser oberster Germanist Jan Philipp Reemtsma verstieg sich sogar zu der These, dass konstruierte Linear-Antiquen Schüler(innen) zu Legasthenikern erzögen.

In der Weimarer Zeit war die Suche nach neuen Ausdrucksformen besonders ausgeprägt. Auch wenn das Bauhaus in seinem Überschwang oft übertrieben hatte – ich würde mir in der heutigen postmodernen, postfaktischen und postwasweissichwas Zeit mehr Aufbruch wünschen. Der Schwung der „Wilden Zwanziger“ fand ja ohnehin 1933 ein jähes Ende. Und ich kenne Auguren, die behaupten,
dass sich die Geschichte alle 85 Jahre wiederhole. Wehe uns!

Michael Berwanger