Evas Töchter – Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung /Ausstellung in der Monacensia 

Von Stefanie Bürgers

München um 1900, bayerische Residenzstadt, wird zu einer der bedeutendsten Kunst- und Kulturstädte Europas, zum Zentrum der Schwabinger Bohème – und einer noch jungen Frauenbewegung, die in der Folge großen Einfluss auf das Bürgertum in ganz Bayern gewinnt. Seit 1894 ist München von der modernen Frauenbewegung bestimmt, die für ein neues Frauenbild, das Recht auf Bildung, Selbstbestimmung und Erwerbstätigkeit der Frau eintritt. Die Stadt ist geprägt von Frauen wie Anita Augspurg, Sophia Goudstikker, Ika Freudenberg, Emma Merk, Marie Haushofer, Carry Brachvogel, Helene Böhlau, Emmy von Egidy und vielen anderen. Betritt man die Monacensia-Ausstellung, blicken einen diese Damen aus lebensgroßen Fotografien direkt und herausfordernd an. 

Lässig und stark halten sie dem Blick stand, der sie fixiert. Man spürt, dass sie gebildet, gewitzt und schlagfertig sind. Sie werfen gewissermaßen ihre Schatten voraus. Unmittelbar neben den Fotografien sind die Schattenrisse moderner Frauen zu erkennen. Die Frauenrechtlerinnen, darunter auffallend viele Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, sind Mitglieder im Verein für Fraueninteressen, dem Flaggschiff der bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern, der bis heute existiert und nach wie vor für die Rechte und Interessen der Frauen eintritt. Die Lebensentwürfe, Ansichten und Ideen dieser politisch engagierten Frauen sind auch heute noch hochaktuell. Damals waren sie im wahrsten Sinne des Wortes „unerhört“ und neu. Sicherlich verblüffend auch das neue Selbstbewusstsein, das allen voran Carry Brachvogel als Vorsitzende des Münchner Schriftstellerinnen-Vereins verkörperte. Das neue Selbstverständnis der Frau formt sich und stellt die traditionellen Rollenvorstellungen im Bürgertum in Frage, entwirft neue Geschlechterbilder und neue Rollen von Frau und Mann. Alle diese Frauen kämpfen für das Recht der Frau auf Bildung und Beruf, finanzielle Unabhängigkeit und gleiche Entlohnung.

Die bürgerliche Frauenbewegung in München ist verknüpft mit der Strömung und den Vertretern der „Moderne“. Rückblickend auf die Zeit um 1900 schreibt der Kulturhistoriker Georg Jacob Wolf 1924: „Als sie (die Frauenbewegung) einsetzte, gingen in München auch die Wogen der modernen Literatur- und Kunstbewegung hoch. Es kam hinzu, daß mancher Literat und Philosoph, der damals zum Lichte emporstieg, ein leidenschaftlicher Anhänger der Frauenbewegung war“. Auch der Dichterphilosoph und Professor für Volkswirtschaft Max Haushofer war solch ein leidenschaftlicher Unterstützer der modernen Frauenbewegung. „Modern sein, heißt für Fraueninteressen sein“, so erläutert Ingvild Richardsen, Kuratorin der Ausstellung. In der ersten Mitgliederliste des Vereins für Fraueninteressen von 1897 finden sich viele bekannte Münchner Persönlichkeiten, unter ihnen auch die Jugendstilkünstler August Endell und Hermann Obrist, der Schriftsteller Ernst Freiherr von Wolzogen, der junge Dichter Rainer Maria Rilke und Karl Thieme, Direktor der Münchener RückversicherungsGesellschaft.

Die Ausstellung „Evas Töchter“ präsentiert anhand bisher unbekannter Originaldokumente und Objekte das Leben und Wirken damals deutschlandweit renommierter Münchner Schriftstellerinnen, die sich an vorderster Front für ein modernes Frauenbild stark gemacht haben. Zu sehen sind Gemälde, Aquarelle, seltene Fotografien aus dem Fotoatelier Elvira, Originalmanuskripte, Briefe, Tagebücher, Skizzen und biografische Dokumente. Jugendstilobjekte, persönliche Gegenstände und Accessoires machen den Lebensstil dieser modernen Frauen sichtbar. Im Mittelpunkt stehen die literarischen Nachlässe von Emma Merk, Marie und Max Haushofer sowie Carry Brachvogel, die die Monacensia jüngst erworben hat.

Den Namen „Evas Töchter“ trägt ein Buch von Emma Merk aus dem Jahr 1893 mit Illustrationen des Grafikers und Malers Emmanuel Spitzer, das ebenfalls hier zu sehen ist. Der Bezug des Ausstellungstitels zum Namen gebenden Buch wird auf subtile Weise hergestellt. „Das Eingangsplakat zieren kleine Herzen, die sich auf dem Cover des Buches wiederfinden“, erläutert Richardsen. Präsentiert wird in diesem prachtvollen Bildband zur Ausstellung auf humorvolle Weise das bürgerliche Frauenleben im Fin de Siècle. Illustriert wird, wie die Frauen darauf aus sind, mit einem reichen Mann eine „gute Partie“ zu machen. Die Ziele eben dieser Männer sind genauso Gegenstand der Betrachtung. Die Wahrnehmung der Frau durch den Mann und die bestimmende Wirkung dieser Wahrnehmung auf das ganze Leben von Frauen ist ein entscheidender Faktor auf dem Weg der Emanzipation. Was für ein Zufall, dass parallel im Haus der Kunst eine Ausstellung mit dem Namen „Procession“ Werke von Kiki Smith präsentiert, die sich eben mit diesem Aspekt befassen. Sehr konfrontativ wird die tradierte Wahrnehmung der Frau durch den Mann begreifbar gemacht. „Evas Töchter“ sind auf dem Weg, immer noch.