Clemens Brentano – das komplizierte Talent
Ein Märchen als Denkmal

Von Katrina Behrend Lesch

In dem kleinen Parkstreifen zwischen den beiden Armen der Herzog-Wilhelm-Straße, Nähe Sendlinger Tor, steht eine kompakte Eisenplastik. Näher tretend erkennt man drei ineinander verschlungene Figuren, die einem etwas glotzäugig entgegen blicken. Das Denkmal stammt von der Bildhauerin Angelika Fazekas, und dass hier, wie die Inschrift besagt, mit Figuren aus seinem Märchen „Gockel, Hinkel und Gackeleia“ des Dichters Clemens Brentano gedacht werden soll, der von 1833–1842 in München gelebt hat, ist nicht von ungefähr. Spiegelt sich doch in den beiden Fassungen, die von dem Märchen existieren, die Charakterentwicklung wider, die Brentano in seinem Leben genommen hat. Die erste schrieb er um 1806, noch ganz vom Sturm und Drang der neuen Romantik erfasst. Als die zweite Fassung mit 14 Lithographien nach seinen Entwürfen 1838 erschien, hatte er seine Hinwendung zur Religion hinter sich und war nach München ins „Hauptquartier der katholischen Propaganda“ gezogen. Hier wohnte er in der Glockengasse 11 (heute Herzog-Wilhelm-Straße) bei dem Maler Joseph Schlotthauer, einem Professor der Akademie (eine Gedenktafel weist ihn allerdings der Herzogspitalstr. 13 zu), und verkehrte mit Künstlern und Schriftstellern aus dem Görreskreis, hier traf er seine letzte Liebe, die Malerin Emilie Linder. 

Clemens Brentano zählt zu den bedeutendsten Dichtern unter den Romantikern, für seinen Zeitgenossen Joseph von Eichendorff besaß er sogar unbescheiden viel Genie, während Heinrich Heine ihn „eingemauert in seinem Katholizismus“ sah. Geboren 1778 in Ehrenbreitstein bei Koblenz als Sohn des Frankfurter Kaufmanns Peter Anton Brentano und seiner zweiten Frau, Maximiliane von La Roche, wuchs Clemens bei strengen Verwandten auf, unterlag einer rigiden Erziehung in verschiedenen Internaten, versuchte sich in mehreren Ausbildungen, unter anderem dem Studium der Bergwissenschaften wie schon Novalis, und sehnte sich zeitlebens nach Einheit und Geborgenheit. Halt suchte der ruhelos Umherschweifende bei den Frauen, doch da er in ihnen vollkommene Wesen sah, die man innigst verehren, nicht aber in eindeutiger Absicht begehren soll, endeten seine Ehen und Liebschaften unglücklich. In der gleichbegabten Schwester Bettine erkannte er sich wie ein erschreckendes Spiegelbild wieder und bekämpfte es daher mit allen Kräften.

Geschrieben hat Brentano, abgesehen von einigen Existenzkrisen, eigentlich unentwegt, Gedichte, Romane, Dramen, Märchen, die Liste ist lang, aber weitgehend unbekannt. Die Ballade von der Lore Lay stammt von ihm, in der Heine-Fassung und der Vertonung von Friedrich Silcher wurde sie zum Allgemeingut. Einen ersten literarischen Erfolg zeitigte er mit der Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“, die er zusammen mit seinem „Herzbruder“ Achim von Arnim 1806/1808 herausgab. Volkspoesie als einheitliche Kultursprache gegen ein französisiertes, von Napoleon besetztes Deutschland, das begeisterte die Leserschaft.

1816 geriet Brentano in den Sog einer religiösen Erweckungsbewegung, für viele Romantiker eine letzte Möglichkeit zur Flucht aus der Realität. In den Visionen der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick in Dülmen glaubte er eine Poesie fernab aller weltlichen Eitelkeiten gefunden zu haben, notierte bis zu deren Tod 1824 ihre Bekenntnisse und bereitete sie zu einer Trilogie auf, von der „Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi“ 1833 anonym erschien. Dass dieses religiöse Buch zu einem Bestseller der katholischen Erbauungsliteratur wurde und zu Brentanos erfolgreichsten Werken gehört mag einem als Ironie des Schicksals erscheinen. So gesehen stellen die Märchenfiguren Gockel, Hinkel und Gackeleia als Denkmal für den Dichter Clemens Brentano nur den spielerischen, phantastischen, frei schweifenden Blick auf seine Persönlichkeit dar. Oder mit den Worten Gackeleias gesagt: Keine Puppe, es ist nur / eine schöne Kunstfigur.

P.S. In einer Serie stellen die „LiteraturSeiten München“ Dichter-Denkmäler in der Landeshauptstadt vor. Bislang waren es die von Kurt Eisner, Heinrich Heine, J.W. Goethe, Lion Feuchtwanger und Frank Wedekind