Das Münchner Übersetzer-Forum

Von Stefanie Bürgers

Ein Großteil der Weltliteratur liegt uns kurz nach Erscheinen fremdsprachiger Ausgaben in deutscher Sprache vor. Diese für uns so selbstverständliche Annehmlichkeit verdanken wir der Übersetzung. 

“Becoming“ von Michelle Obama wurde von einem sechsköpfigen Team binnen einer Frist von nur zwei Wochen aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen. Alle Fassungen weltweit sollten gleichzeitig erscheinen. Autor und Titel zieren das Cover. Wer übersetzt hat, findet sich auf dem Innentitel. Nur wenige Verlage präsentieren dies auf Cover oder Rückendeckel.

Das schöpferische Werk der Übersetzung sichtbar machen will das Münchner Übersetzerforum „MÜF“. Tanja Handels und Andrea O’Brien waren beide im Team von „Becoming“ und sind im Vorstand des „MÜF“ aktiv, Handels als erste Vorsitzende. Der Quereinstieg sei der Regeleinstieg in den Beruf des Übersetzens von Literatur, so Handels. Lange Zeit gab es keine akademische Ausbildung. Das hat sich geändert. Handels hat den Master-Studiengang der LMU für „Literarisches Übersetzen“ mitkonzipiert. Handels und O´Brien sind Lehrbeauftragte.

Ein erster Auftrag? Nicht ohne Selbstironie erklärt Handels: “In meinem Fall waren das neben der Übersetzung kunsthistorischer Werke sog. ,Nackenbeißer‘“. Unterhaltungsromane, auf deren Cover regelmäßig eine zarte Frau willenlos in die Arme eines muskulösen Mannes sinkt und ihren Nacken darbietet. Ein langer Atem und der Glaube an den Durchbruch seien unerlässlich. Ohne persönlichen Kontakt sei der Einstieg schwieriger. Mittlerweile ist sie angekommen, bei Zadie Smith, zu der sie auch persönlich Kontakt hat. Förderung für ÜbersetzerInnen kommt auch von staatlicher und städtischer Seite in Form von Arbeits- und Literaturstipendien. Die deutsche Fassung der Essaysammlung „Feel free“ oder „Freiheiten“ bescherte Handels das Übersetzerstipendium des Freistaates Bayern. Der Beruf sei fordernd, unsicher, „man muss sich stets beweisen“, so Handels. „Trotzdem, einen schöneren gibt es für mich nicht. Ein Tor zu neuen Welten und ,Freiheiten‘“.

Kürzlich von ihr in deutscher Sprache erschienen ist „The Travellers“  bzw. „Die Reisenden“ von Regina Porter und demnächst kommt „Show them a good time“ bzw. „Zeig Ihnen, wie man Spaß hat“ von Nicole Flattery.

O’Brien wollte schon immer Übersetzerin werden. Sie war 12 und die Songtexte von ABBA und den Simple Minds ergaben keinen Sinn. Übersetzen musste viel mehr sein, als knochentrockene Übertragung. Mit 15 dann zur planmäßigen Beratung ins Arbeitsamt. Sie möchte Literatur übersetzen. Diesen Beruf gäbe es gar nicht, so der Berater. „Aufmerksamkeit bekommt nur, wer präsent ist, nicht nur auf Fachveranstaltungen. Man muss „netzwerken“, auf die Leute zugehen“, so O’Brien, nur so komme eine Chance auf den heißersehnten ersten Auftrag.

Das „MÜF“ besteht seit 1996 und ist mehr als nur Netzwerk. Es geht um Weiterbildung und Austausch mit einer Veranstaltung pro Monat für rund 165 Mitglieder von Themen der Altersversorgung über Basiswissen für Krimiübersetzer bis zur Textwerkstatt. In München sei man präsent vor allem im Literaturhaus, so Handels. Von Anbeginn biete es dem „MÜF“ in großzügiger Weise Raum für interne Treffen und ca. vier Mal im Jahr sei das „MÜF“ dort mit einer öffentlichen Veranstaltung  zu Gast. Zuletzt im März mit „Das glücklichste Land der Welt“, Finnland übersetzen. Wie übersetzt man aus einer Sprache mit fünfzehn Fällen?

O’Brien ist sowohl im Genre Krimi, als auch in der gehobenen Belletristik bekannt. „This is your life, Harriet Chance!“ bzw. „Eine fast perfekte Frau“ von Jonathan Evison hat O’Brien das Arbeitsstipendium des Freistaates Bayern eingebracht. Für „Sight“ bzw. „Was wir voneinander wissen“ von Jessie Greengrass hat sie das Literaturstipendium der Stadt München erhalten. Das Buch erscheint im Mai. „Übersetzen von literarischen Texten funktioniert nur in die Muttersprache“, so O’Brien, die als Deutsche mit einem Iren verheiratet ist. „Die Erfahrung zeigt, man muss viel Herz und Sprachverstand in einen Text hineinlegen, um ihm in der Übersetzung Leben einzuhauchen“, so O’Brien. Das größte Glück beim Übersetzen? „Wenn der Text fordert und trägt“, erläutert sie. Es ginge nicht um eine rein technisch korrekte Übertragung. Jede Übersetzung sei immer Interpretation. Ein neues schöpferisches Werk wird erschaffen, so sehe das auch das Urheberrechtsgesetz, erklärt O’Brien.

Gekonntes Einfühlen, virtuoser Umgang mit Wortwahl und Sprache spiegeln im besten Fall Atmosphäre, Spannung und Wortwitz eines Buches in einer anderen Sprache. Selbst „Slang“ findet seinen Niederschlag. Im anglo-amerikanischen Bereich wird meist nicht tiefgehend lektoriert. Dies führt mitunter zu spannenden Rückfragen und schöpferischem Mehrwert. In Fachkreisen auch als „Stroh zu Gold spinnen“ bekannt. Der Lohn für eine Übersetzung ist davon weit entfernt. Ein Forum haben die ÜbersetzerInnen in München. Ihre Namen bleiben zu oft noch „unter dem Deckel“.