Ein historischer Roman zeigt Momentaufnahmen aus der Münchner Nachkriegszeit

Von Stefanie Bürgers

Kriegsende. Unverstellt reicht der Blick vom Hauptbahnhof bis zur Josephskirche. Von der Maxvorstadt steht nicht mehr viel. Sechs Frauen aus drei Generationen und ein junger Mann sind eng zusammengerückt in einer Wohnung bei der Tante in der Ismaninger Straße in Bogenhausen, denn ein Teil der Familie hat das Zuhause in der Adalbertstraße beim Bombenangriff verloren. Glück haben sie alle, meint die Autorin Teresa Simon, denn sie hatten den Krieg überlebt.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen zwei junge Frauen. Toni aus München ist Verlagsangestellte. Griet aus den Niederlanden war im Widerstand. Das endete für sie mit Zwangsarbeit bei Agfa. Sie ist Jüdin und hat unter falscher Identität den Krieg überstanden. Nun ist sie bei Tonis Tante einquartiert. Griet liebt einen amerikanischen Captain. Toni ist Louis, einem zwielichtigen Schwarzmarkt-Glücksritter, verfallen.

Und dann ist da noch Benno, der jüngere Cousin von Toni. Noch vor gar nicht so langer Zeit eilfertiger Nazi, drückt er sich nun um die Arbeitssuche, weil er ja dann diesen Fragebogen ausfüllen müsste, der seine Verantwortung während der NS-Zeit klären soll. Er hatte bei Agfa Zwangsarbeiterinnen bewacht, die Zündköpfe montieren mussten.

Der geschichtliche Hintergrund des Romans ist gut recherchiert. Das ist der Autorin ein Anliegen. Realitätsnah sind die damaligen Verhältnisse nachempfunden. Die Versorgungslage nach dem Krieg war prekär. Lebensmittel und Waren gab es nur auf Marken nach strengem Reglement. Die Rationen waren knapp bemessen.

„Was würde schon auf dem Tisch stehen, … . Nur wieder das tägliche Nichts: Brot aus Eichelmehl, ein paar Kleckse Margarine, dazu Rübenkraut, und wenn es hoch kam, jener widerliche Muckefuck mit einem Schuss blauem Heinrich, der Magermilch, die so fettarm war, dass sie leicht bläulich schimmerte.“ Anschaulich beschreibt Teresa Simon die Not des Familienverbands. Wenn einmal Fleisch in die Suppe sollte oder jemand schwer erkrankt war, musste auf dem Schwarzmarkt das Nötige beschafft werden, was streng verboten war.

Dank der Beziehungen, die Toni und Griet haben, gelingt es, Lebenswichtiges zu organisieren wie eine Nähmaschine, mit deren Hilfe Rosa, Tonis Mutter, Kleidung für zahlende Kundschaft schneidert, oder Penicillin für Tonis schwerkranke Schwester. Doch nichts läuft ohne harte Währung, und die heißt „Lucky Strikes“. Also wird alter Schmuck gegen Gänseschmalz getauscht. Letzteres war, weil koscher, bei „displaced persons“, kurz DPs, begehrt, wie das die Autorin von einem Zeitzeugen erfahren hat. Für das Gänseschmalz gibt es dann endlich die begehrten Lucky Strikes.

Münchens größter Schwarzmarkt spielte sich nach 1945 – ganz wie Teresa Simon das beschreibt – in einem Teil der gediegenen Möhlstraße ab. Nahebei hatten sich nach dem Krieg sowohl das Offizierscasino der Amerikaner als auch wichtige jüdische Organisationen einquartiert. Infolge des weiterhin bestehenden Antisemitismus in Osteuropa war München ein wichtiger Anlaufpunkt für die Überlebenden. Unter dem Schutz der Amerikaner hatten hier viele DPs gut frequentierte Ladengeschäfte. Im Schatten dieser Betriebsamkeit konnte sich zwischen den Buden ein reger Schwarzhandel entwickeln. Nur samstags sei nichts los gewesen, denn da seien die Läden wegen Einhaltung des Schabbats geschlossen geblieben, berichtet Roman Haller, geboren 1944. Haller ist Leiter der Nachfolgeorganisation der „Claims Conference“, die die Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des Nationalsozialismus und Holocaust-Überlebender vertritt. Er ist in Haidhausen aufgewachsen. Seine Eltern habe er immer sonntags in die Möhlstraße begleiten dürfen. Dorthin fuhr man mit der Tram, dem sogenannten „Palestine-Express“. Als Kind habe ihn fasziniert, wie rasch Devisenhändler gerechnet und wie unauffällig Scheine den Besitzer gewechselt hätten. Es habe auch Razzien gegeben, berichtet Haller, für ihn, an der Hand der Eltern, war das ein schönes Abenteuer.

Teresa Simon hat Germanistik und Geschichte studiert. Sie schreibt historische Romane verpackt in Liebesgeschichten, um vielen Menschen den Zugang zur Geschichte zu ermöglichen. All das liest sich süffig, ist spannend mit einer gehörigen Prise Romantik und einem passenden, wenn auch sehr gewollten Happy End dazu.

Die eigene Familiengeschichte war Simon Ideengeber. Ihr Vater hatte im Krieg die Wohnung in der Adalbertstraße verloren und ist zur Tante in die Ismaninger Straße gezogen. Teresa Simons Tante hat – wie Toni – als Verlagsmitarbeiterin Eugen Roth (im Roman „Egon Blau“) betreut. Auch Simon hat in einem Verlag gearbeitet und ist dabei, wie Toni, einer Schriftstellerin begegnet, die das Manuskript in Form einer Zettelbox übergeben hat. Das war für sie der Wink, selbst Schriftstellerin zu werden.

Als Studentin hat Simon in den 1970er Jahren in der Möhlstraße Post ausgetragen. Sie kennt die feine Gegend wie ihre Westentasche. Damals wie heute eine begehrte Adresse.

Teresa Simon:
Glückskinder
Roman, 510 Seiten
Heyne Verlag
München, 2021
10,99 Euro