Anatol Regnier betrachtet sie einzeln, die „Schriftsteller im Nationalsozialismus“

Von Katrin Diehl

So geht Literaturgeschichte. Um ein Gespür dafür zu bekommen, was so alles passiert ist in diesen „1000 Jahren“, zoomt da einer heran, bis einzelne Menschen erkennbar werden in ihrem angestrengten, eifrigen, übereifrigen, verzweifelten, beizeiten auch mühelosen Unterfangen, für sich einen Weg zu finden durch die irgendwie neue Zeit, die da ausgebrochen ist, und die nichts anderes war als eine durch und durch verbrecherische Diktatur. Nicht, dass es da nicht schon einiges gäbe über das nationalsozialistische Deutschland und seine Schriftsteller und Schriftstellerinnen. Anatol Regnier ist in „Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus“ an einem Überblick gelegen, der, ganz dem Leben auf der Spur, am Ende kein klares Bild hinterlässt, keine Einteilung in hier schwarz, dort weiß. Entlang von Einzelschicksalen, Einzelbetrachtungen kommen wir der Sache näher. Es wuselt da an Entscheidungen, an Widersprüchen. Geradlinig war da selten ein Kurs. Aber natürlich gab es bei den moralisch stark Taumelnden, den Großes Witternden, den Unsicheren, bei den um ihre Lebenseinkünfte Bangenden Tendenzen, die eben auf mehr oder weniger Charakter schließen lassen. Wovon wir in „Jeder schreibt für sich allein“ verschont bleiben, sind Autorinnen und Autoren, die ganz und bis zur Unkenntlichkeit im nationalsozialistischen Ideologiesumpf versackt sind. Die aber, die Deutschland verlassen haben, ins Exil gingen, mehr oder weniger mächtig kommentierend Verbindung gehalten haben (hier natürlich prominent wie schillernd Thomas Mann), bekommen im Buch sehr wohl ihren Platz. Namenskolonnen, die oft die Kapitel einleiten, werden schnell aufgelöst, indem man einem, einer aus der Reihung folgt. Die Einzelbetrachtungen setzen sich wunderbar zusammen aus Briefen, Werkauszügen, Tagebucheinträgen … Kreuzen sich die Wege einzelner, kann es auf ewig knallen. Suizide gehören zur Welt der Literaten. Und 1945 war nicht Schluss. 1951 bekam Gottfried Benn, der sehr mit den Nationalsozialisten geliebäugelt hatte, den Georg-Büchner-Preis. Da lag Klaus Mann, der äußerst bemüht den Bewunderten „keinesfalls an die ‚andere Seite‘ “ hatte verlieren wollen, schon zwei Jahre unter der Erde. Auch er hatte sich das Leben genommen.

Der Buchtitel dieses gut lesbaren, differenzierenden Überblicks ist natürlich angelehnt an Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ von 1947. Eines Tages hatte das Erfolgsbuch, in dem sich Menschen gegenüber dem Naziregime zu verhalten haben, auf Anatol Regniers Nachttisch gelegen. Fasziniert begann er darin zu lesen, wollte dann auch mehr erfahren über den ewig strauchelnden Fallada …

Der am Starnberger See lebende, 1945 geborene Anatol Regnier ist der Sohn der Schauspielerin Pamela Wedekind, Enkel des Dramatikers Frank Wedekind wie der Schauspielerin Tilly Wedekind, lange Jahre Geliebte Gottfried Benns. Natürlich fallen die Namen der Berühmten. Eine parteiische Nähe zu dieser Personage gibt’s im Buch nicht. Am Interesse des Autors für die Thematik wird sie nicht ganz unschuldig sein. Dass Anatol Regnier schreiben kann, wissen wir seit zum Beispiel „Wir Nachgeborenen. Kinder berühmter Eltern“ (2014) oder auch seiner Biografie zu „Frank Wedekind“ (2008).

Sehr stark und auf eine Art inspirierend ist das letzte Kapitel seines aktuellen Buches. In ihm berichtet Anatol Regnier höchst persönlich von seinem Besuch bei Heinrike Stolze, Tochter Will Vespers, dem nationalsozialistischen Schriftsteller, wie Schwester von Bernward Vesper, der in engster Verbindung zur RAF-Terroristin Gudrun Ensslin gestanden ist. Geschichte hört nicht auf.´

Anatol Regnier:
Jeder schreibt für
sich allein
Schriftsteller im
Nationalsozialismus
Hardcover, 366 Seiten
C.H. Beck, München 2020
26 Euro