Einblicke in die Ausstellung „Beziehungsstatus: Offen.“ im Zeppelin Museum, Friedrichshafen

Von Michael Berwanger

Natürlich könnte man die Berichterstattung über eine Ausstellung zum Thema Literatur und Kunst am Bodensee mit einer prominenten Person beginnen. Wie etwa Erika Mann, die 1926 mit ihrem Kurzzeitgatten Gustav Gründgens zu Flitterwochen im Kurhotel Friedrichshafen abgestiegen war und sich langweilte, wie zu lesen ist. Oder mit Golo Mann, der in Salem ins Internat ging und deutlich mehr von der ländlichen Idylle angetan war. Aber sind nicht Entdeckungen über weniger bekannte Künstler*innen viel reizvoller? Beispielsweise Grete Jehly. Die Vorarlberger Schriftstellerin, die ihre meiste Zeit in München verbracht hatte, lebte zwischen 1906 und 1923 mit ihrem Mann, dem Maler und Karikaturisten Olaf Gulbransson, zeitweise in Bregenz. Dort lernte sie den Maler Rudolf Wacker kennen. Mit diesem wiederum teilte das Ehepaar die Freundschaft zu den Schriftstellern Hermann Hesse und Emanuel von Bodman, die sich ebenfalls am Bodensee – allerdings auf der Schweizer Seite – niedergelassen hatten.

Das ist ohnehin das Hauptthema der Ausstellung: Das Beziehungsgeflecht der Kunstschaffenden, die rund um den Bodensee intensive Kontakte pflegten, sowohl in Form von Freundschaften als auch als Mitglieder von Künstlerkolonien, in Arbeits- oder auch Liebesbeziehungen. Damit wird auch der etwas kryptische Ausstellungstitel verständlich: „Beziehungsstatus: Offen.“ Man kannte, man schätzte oder verabscheute sich, und man war ständig auf der Suche nach neuen Bezugspunkten.

Wenn man den Hauptraum im Erdgeschoss betritt, befindet sich am Ende eine Lounge mit wandfüllender Tafel, auf der das komplizierte Geflecht der Künstler*innen, die zeitweise oder ganz am Bodensee gewirkt hatten, veranschaulicht wird. Dabei haben sich die beiden Kurator*innen Charlotte Ickler, Museumspädagogin, und Mark Niehoff, Kunsthistoriker, in ihrer Auswahl schon sehr begrenzt. Der abgebildete Zeitraum umfasst „lediglich“ gut 150 Jahre, beginnend mit Annette von Droste-Hülshoff, die 1848 in Meersburg gestorben ist, bis hin zu Martin Walser – dem einzigen lebenden Schriftsteller der Ausstellung – der seine Heimat am Bodensee nie verlassen hat.

Die Ausstellung zieht sich über zwei Etagen. Das obere Stockwerk widmet sich hauptsächlich den Strukturen der Künstlergemeinschaften – von der Lindauer Kolonie „Der Kreis“ über die Gemeinschaft „Rehmenhalde“ bei Überlingen bis zur Künstlerkolonie Gottlieben. Aber auch Lehr- und Heilorte wie Salem und das Sanatorium „Bellevue“ in Kreuzlingen sind vertreten. Die Mitglieder und Mitbewohner*innen werden vorgestellt, die Beziehungen untereinander erläutert, Briefe, Fotos, Gemälde und Skizzen gezeigt. Die Beschreibungen sind bewusst kurz gehalten – auf gut lesbaren Tafeln. Wer sich in einzelne Werke und Biografien vertiefen möchte, kann sich im Erdgeschoss an Bücherschränken bedienen und sich zum Schmökern auf Sesseln niederlassen, die in Wohnzimmerlandschaften um einen großen weißen Kubus gruppiert sind. Der Kubus als Herzstück des unteren Ausstellungsraumes birgt das Ergebnis eines museums-demokratischen Großversuchs: Die Kurator*innen hatten über Social Media die Bevölkerung dazu aufgerufen, ihre Wunsch-Künstler*innen am Bodensee zu nennen. Aus den 3.500 Zuschriften mit Vorschlägen wurden 20 Literat*innen und Bildende Künstler*innen ausgewählt, die nun mit ihren Exponaten im Kubus vertreten sind.

Überlegungen, wie man junge oder mit der Thematik unerfahrene Menschen an die Sache heranführen könnte, führten zudem zu einem außergewöhnlichen Projekt. Die Schüler*innen einer Realschule sollten in einem Workshop Gedichte in ihrer Sprache nacherzählen und bebildern. Herausgekommen sind dabei Videos voller künstlerischer Kraft. „Der Reiter und der Bodensee“ von Gustav Schwab, eine romantische Ballade aus dem Jahr 1826, machten Achtklässler*innen zu einem Rap, der von Comic-Schnipseln begleitet wird, in dem über den „fucking See gecruist“ und in der Pizzeria „gechillt“ wird. So bekommt das angestaubte Gedicht eine greifbare gegenwärtige Schönheit.

Der Bodensee lockt nach wie vor Kunstschaffende aller Gattungen. Charlotte Ickler lässt es offen, ob ein zweiter Teil der Ausstellung – dann mit (bekannten) lebenden Künstler*innen – folgen wird. Aber die jetzige Ausstellung, ursprünglich nur bis Ostern geplant, läuft noch bis November. Eine großartige Gelegenheit für einen sommerlichen Ausflug an den Bodensee mit Museumsbesuch.

Beziehungsstatus: Offen.
Kunst und Literatur am Bodensee
Zeppelin Museum Friedrichshafen
Noch bis 6.11.2022, Dienstag bis Sonntag 10 Uhr bis 17 Uhr
12 Euro