Antiquariate leiden an und profitieren vom Buch-Onlinehandel

Effi Briest für drei Euro – das geht noch immer“, sagt Petra Hammerstein, ordnet einen Stapel Bücher und stellt den Fontane ins Regal zurück. Ein junger Mann schaut zur Ladentür herein und fragt: „Ich habe die Bibliothek meines Onkels geerbt, kann ich die bei Ihnen verkaufen?“ Durchschnittlich zehn Mal am Tag kommen Kunden wie dieser Mann in das Antiquariat Hammerstein in der Münchner Türkenstraße und wollen ihre geerbten Goethe-, Schiller- und Heine-Bände loswerden. „Wir werden von Büchern überschwemmt“, erzählt denn auch Antiquar Bernhard Kitzinger von der Schellingstraße. Antiquariate haben sich in den vergangenen Jahren 20 Jahren stark gewandelt: Aus klassischen Orten des Stöberns sind Geschäftsunternehmen geworden, die Konkurrenz aus dem Internet durch Billiganbieter haben, zugleich aber immer stärker werdende Online-Umsätze verzeichnen. Das klassische Ladenantiquariat gibt es noch – es hat aber oft keinen leichten Stand: Die Laufkundschaft, die es noch in den 90er Jahren gegeben hatte, ist rar geworden, übermächtig sind dagegen die hohen Mieten für die Läden.

Ein Antiquariat ist ein Mikrokosmos, ein Ort des Innehaltens: Bücherregale quellen über und reichen bis zu Decke; der Antiquar, der die Farbe seiner Bücher angenommen hat, sitzt hinter einem Stapel von Brockhaus-Bänden; in der dicken Luft hängt der Staub von hundert, zweihundert Jahren. Diese Papierhöhlen – es gibt noch einige davon rund um die Münchner Universität – bieten verborgene Schätze, nach denen Sammler ihr Leben lang stöbern. Schneller fündig werden viele Buchliebhaber seit Mitte der 90er Jahre am Computer: 1996 ließen sich zehn Antiquare auf das Experiment ein, ihr Angebot ins Internet zu stellen. Das Zentralverzeichnis antiquarischer Bücher (ZVAB) war gegründet. Mittlerweile ist das ZVAB weltweit das größte Online-Antiquariat für deutschsprachige Titel. Tausende professionelle Antiquare – darunter auch die Münchner – bieten rund 25 Millionen antiquarische oder vergriffene Bücher sowie Noten, Graphiken, Autographen oder Postkarten an.

Doch im Online-Handel tummeln sich auch massenweise nichtprofessionelle Anbieter von Büchern, sei es bei eBay, Abebooks oder Booklooker. „Alle wollen die Bücher ihrer Eltern verkaufen, doch solche Bücher will heutzutage eigentlich niemand mehr“, sagt Antiquar Kitzinger. Die Folge ist ein Überangebot und damit ein Preisverfall ohne Ende. Bernhard Kitzinger stellt nüchtern fest: „Ein Goethe von 1870 bringt uns fast nichts, der ist nur für die Abfalltonne“. Und Petra Hammerstein ergänzt, Klassiker in „Fraktur“ (also in altdeutscher Schrift) würden nicht mehr angekauft. Das Antiquariat Turszynki fügt hinzu, dass Bücher der „letzten 100 Jahre keinen nennenswerten Wiederverkaufswert“ besitzen. „Mit großem Enthusiasmus übernehmen wir aber wissenschaftliche Werke und Literatur des 16. bis 19. Jahrhunderts“.

Schwerpunkte setzen – das ist denn auch die Geschäftsidee bei etlichen Antiquariaten: So ist beispielsweise Kitzinger ein geisteswissenschaftliches Fachantiquariat, Hauser, das Antiquariat in unmittelbarere Nachbarschaft, engagiert sich für Biographien, Botanik oder Künstlermonographien, Rezek in der Amalienstraße pflegt das bibliophile Buch, und das benachbarte Antiquariat Bierl hat die Schwerpunkte Kinderbücher und Graphik, die Franziska Bierl auch in schönen, aufwändigen Print-Katalogen präsentiert. Zu ihren Umsatzzahlen gefragt meint die junge Unternehmerin: „Ich nehme etwa 50 Prozent online ein und 50 Prozent im Ladenantiquariat“. Bei Kitzinger sind die Zahlen anders: online beträgt der Umsatz 15 bis 20 Prozent, der Ladenanteil liegt bei 80 Prozent. Das Antiquariat, ideal für Laufkundschaft an der Ecke Schelling-/Türkenstraße gelegen, hat noch immer alte Stammkunden, die täglich, wöchentlich oder auch nur ein Mal im Jahr vorbeikommen. Bernhard Kitzinger ergänzt: „Wir bieten Bücher für Wissenschaftler, die nicht den ganzen Tag auf den Bildschirm starren wollen“.

Wie denn die Zukunft der Antiquariate aussehe? Kitzinger, dessen Urgroßvater das Geschäft im Jahr 1892 gegründet hatte, ist unsicher: „Ob mein Sohn mal den Laden übernehmen wird, glaube ich eher nicht“. Die Antiquariate würden weniger, sagt der Unternehmer und verweist auf Geschäfte, die seit jüngster Zeit nicht mehr in Schwabing sind: der Basis-Buchladen, das Musikantiquariat Knobloch oder das Antiquariat Terrahe, das – auch wegen der hohen Mieten – München verlassen hat, aufs Land gezogen ist und nun online Bücher vertreibt. Der (Aus)Weg aufs Land – das sei denn auch ein einheitlicher bundesweiter Trend, versichert der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegenüber den LiteraturSeiten München. Es wäre ein Jammer, wenn sie aus unserem Stadtbild verschwinden würden: die Antiquariate Hammerstein, Bierl, Kitzinger oder wie sie alle heißen. Diese Läden haben musealen, ja fast sakralen Charakter. Ein Blick ins Antiquariat Rezek ver- und bezaubert, ist unvergesslich, erinnert an das Stillleben eines holländischen Barock-Malers. „Und außerdem“, so versichert Bernhard Kitzinger, „ist der Antiquar doch schon immer der König der Buchhändler gewesen“.
Ina Kuegler