Sie sitzen in der U-Bahn, breiten gemütlich Ihre AZ aus und merken, der Stoffel gegenüber liest mit. Sie blättern schnell um, um ihn zu ärgern. Frage an den Moraltheologen: Darf der das, obwohl er nichts bezahlt hat, einfach mitlesen, und ist es fair, schnell umzu-blättern, und warum wird das beides in Zukunft nicht mehr vorkommen? a. weil es die AZ nicht mehr gibt oder b. weil man sie im Smartphone liest? – So oder so, auf jeden Fall stirbt der stille Mitleser aus und mit ihm so manche charmante Gesprächseröffnung.

Absterben; aussterben, das sind wir gewohnt, Wörter sterben, Gewohnheiten, selbst das „Waldsterben“, ein Wort, das Nachbarländer von uns übernommen haben, ist fast ausgestorben. Unsere Väter zogen noch den Hut, wenn sie einem Bekannten begegneten, und setzten ihren Stetson schnell wieder auf ein ständiges ab – und auf: ausgestorben. Pflanzen und Tiere sowieso. Indiens 14000 freie Leoparden, bedroht, aber auch Zugvögel.100 Millionen ziehen jedes Jahr über uns hinweg, zweimal. Extrem bedroht, diese Leute. Rilke war auch so einer. Ständig in Bewegung gewesen, bedroht, der Mann. Er hat es aber auch übertrieben. Schreibt im März 1917 an eine seiner Damen (darf man das überhaupt?): „München wird immer mehr ein Gräuel für mich“ – und verlässt unsere herzliche Weltstadt Ende 1918 für immer. (Jetzt ist er in einem trostlosen Nest im Wallis begraben.) Wörter, Wendungen sterben aus. „Aber Hallo“ – vor wenigen Jahren noch der Hit, wurde ständig eingestreut, wie Zucker „Ich komm grad aus dem Bad, aber hallo“ –„Aber hallo, sie hat mich glatt vergessen“ – schon gestorben – abgelöst von „okay“ „Gestern ist mein Vater gestorben“ „Okay und was jetzt?“ Man kann sich also trösten. Es kommen Neuwörter. Neusachen. Der Papst dankt ab – also „Altpapst“ wie Altkanzler. Wäre schön gewesen, hat sich aber nicht durchgesetzt. „Nullerjahre“ – mein Gott, dieses Scheusal hat sich durchgeboxt, was haben wir dagegen gekämpft, sinnlos, Schnullerjahre. Nicht immer setzt sich das Bessere durch.

Und: Das Buch, na klar. Das muss ja jetzt kommen. Jetzt P-Buch genannt im Gegensatz zum prosperierenden jungen, dynamischen E-Book. Oder auch, sagen wir mal, das P-Journal, die Zeitung. Schon auf Saurierkurs. Die gute alte Gutenberg- welt. Oder wie Bitkom das ausdrückt, die IT Branchen-Lobby: Bedrucktes Papier verschwindet aus dem „öffentlichen Raum“, also aus U-und S-Bahn, Schwimmbädern und Flughäfen. Schon jeder Fünfte liest elektronische Bücher, nur 19,4 Prozent der Bürger sind papiertreu und lehnen das grundsätzlich ab. 60 Prozent lesen ihre E-Books auf Smartphones. Der Zuwachs soll rasant sein, auch wenn man sich mit dem neuen Medium weder Luft zufächeln noch wärmen kann, und schon gar nicht kannst du etwas anstreichen oder ausschneiden und den Artikel deinem Sohn oder Partner rot unterstrichen auf den Frühstücksplatz legen. Vor allem aber: Das Rascheln fehlt, das uns meldet, aber hallo, der andere ist da.
W.H.