Das Ohr der Sprache öffnen

Dagmar Ploetz übersetzt García Márquez, Juan Marsé und Rafael Chirbes

Ein sparsam möblierter Raum, ein Tisch, um den sich eine große Familie versammeln kann, der Kinderstuhl fürs Enkelkind, ein Klavier, ein, zwei Regale, kaum Bücher. Sie sind noch in den Kartons, wir hatten den Maler, sagt Dagmar Ploetz entschuldigend. Dass sie das Understatement pflegt, wird sich im Laufe des Gesprächs herausstellen. Ploetz gehört zu den herausragenden deutschen Übersetzerinnen, ihre Domäne ist das Spanische, wer die Autoren und wie viele Werke das sind, beantwortet sie quasi beiläufig: Steht alles bei Wikipedia. Schlägt man dort nach, eröffnet sich eine beeindruckende Liste lateinamerikanischer und spanischer Schriftsteller von Isabel Allende über García Márquez, Vargas Llosa und Juan Rulfo bis Juan Marsé und Rafael Chirbes. Dessen politischem und sozialem Tonfall, den er in seinem jüngsten Roman „Am Ufer“ anschlägt, hat Dagmar Ploetz ihr Ohr wieder ganz weit geöffnet, wie es in der Jurybegründung zum Münchner Übersetzerpreis 2012 über ihre Fähigkeit, sich in Sprachatmosphären hineinzuhören, so schön heißt.

In die Wiege gelegt wurde ihr das Spanische nicht, aber doch an den Beginn ihrer Sprachentwicklung, denn die Familie zog mit der Zweijährigen nach Argentinien, wo sie die prägenden Jahre der Kindheit und Adoleszenz verbrachte. Zurück in Deutschland, studierte sie Germanistik und Romanistik in München und arbeitete als Journalistin und Verlagslektorin. Mit dem Übersetzen hatte sie es auch schon früh versucht, aber, wie sie selbstironisch sagt, erstmal nicht richtig angefangen. Sich ein Buch ihrer Wahl vorzunehmen und es dann an die Verlage zu schicken war der falsche Weg. Doch dann kam das dritte Kind, ein anderes Arbeitsmodell musste gefunden werden, und sie besann sich sozusagen auf ihre Wurzeln. Gleich ihre erste Übersetzung, Isabel Allendes „Von Liebe und Schatten“, erschienen 1986 bei Suhrkamp, war wohl so überzeugend, dass Kiepenheuer sie für „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ (1987) von García Márquez an Bord holte, was weitere sieben bis acht Titel des kolumbianischen Autors nach sich zog. Lange hat Dagmar Ploetz aus dem lateinamerikanischen Spanisch übersetzt, es lag ihr näher, gleichwohl erscheint ihr der Hinweis auf das jeweilige Land als sprachwissenschaftliche Spielastik. Natürlich existieren Abweichungen bei Begriffen und Redewendungen – das Kolonialspanisch entwickelte sich einfach anders, lehnte sich auch an Wörter der Einheimischen an –, aber in der Übersetzung fließt das unterschiedslos in unsere Sprache hinein. Das Lokalkolorit verwandelt man sich eher in der Diktion an, in der Charakteristik von Verhaltensweisen, die sich in der Sprache niederschlagen. Dagegen sei es ihr anfangs schwer gefallen, sich in das europäische Spanisch hineinzudenken. Glücklicherweise gibt es die Kollegen, die Übersetzerforen, Nachschlagewerke, man hilft sich untereinander, Konkurrenzdenken wird klein geschrieben.

Überhaupt wirkt Dagmar Ploetz sehr gelassen allem gegenüber, das nach „Aufreger“ klingt. Den Satz von José Saramago, Übersetzer seien die Macher von Weltliteratur, relativiert sie: Das hört sich recht schön an, aber wir dienen doch nur der Verbreitung. Manchmal, meint sie, werde das Urhebersein zu extensiv ausgelegt: Geschrieben hat den Roman schließlich der Autor. Die Arbeit des Übersetzens ist für sie eine lustvolle „Fummelei“. Man pflügt sich durch das Original hindurch, versucht den Ton des Autors zu treffen, spürt seinen sprachlichen und atmosphärischen Modulationen nach. Bei Chirbes zum Beispiel muss man sich auf seine langen inneren Monologe einlassen, dem Fremdartigen seinen Raum zugestehen und mit den Mitteln der eigenen Sprache nachzubilden versuchen. Muss in der eigenen Sprache so bewandert sein, um selbst leise Anklänge von Ironie rüberzubringen. Oder für Abmilderung sorgen, wenn ein falscher Zungenschlag entstehen könnte. Bei Isabel Allende etwa gab es Passagen, die im Deutschen wie nach Blut und Boden tönten. Solche „Schwachstellen“ erfordern Rücksprache mit den Autoren, die die Diskurse mit ihren Übersetzern oft sehr schätzen.

Auch zu der virulenten Frage einer gerechten Bezahlung hat Ploetz ihre eigene gefasste Sichtweise. Sie gehört zwar zu den Gutverdienern unter ihresgleichen, über die aktuellen Diskussionen zum Mindestlohn kann sie jedoch nur milde lächeln, auf 8 Euro 50 die Stunde kommt sie bei einem schwierigen Buch nicht. Lange habe sie zusammen mit Kollegen um eine angemessene Vergütung gestritten, die die Novelle des Urhebervertragsrechts von 2002 den Übersetzern zugesteht, aber von bindenden Vereinbarungen mit den Verlagen könne man noch nicht reden. Es ist richtig und wichtig, am Verkauf beteiligt zu werden, es gibt Förderungen der Länder oder von Stiftungen, die aber die Verlage unterstützen, nicht die Übersetzer, es gibt Stipendien für junge Übersetzer, und es gibt die Übersetzerpreise. Das sei dann doch sehr angenehm, wenn man einen erhalte. Dagmar Ploetz wurde mit dem Jane Scatcherd Preis der Rowohltstiftung und dem Münchner Übersetzerpreis ausgezeichnet. Maliziös fügt sie hinzu: Man muss einen Mann haben, um über die Runden zu kommen. Sie ist seit vielen Jahren mit dem Schriftsteller Uwe Timm verheiratet.
Katrina Behrend Lesch