Der aktuelle Jugendroman „Die unterirdische Sonne“ von Friedrich Ani.

Traurige Aktualität hat das Thema seit Wochen, die Pädophilie. Vermutlich ganz ungewollt aktuell ist in diesen Tagen ein Buch auf den Markt gekommen, das diese Debatte aus der Sicht der Opfer darstellt: der Jugendroman „Die unterirdische Sonne“ des Münchner Schriftstellers Friedrich Ani. Ani, erst kürzlich mit dem Deutschen Krimipreis 2014 ausgezeichnet, erklärt zu seinem jüngsten Werk in einem Interview: „Kinder und Jugendliche werden weltweit misshandelt, verkauft, zur Prostitution gezwungen, in fürchterlichen Abhängigkeiten gehalten. Ich schildere nur einen kleinen Ausschnitt aus dieser Wirklichkeit, aber ich weide die Thematik nicht aus“. Nein, Ani weidet die Thematik gottlob nicht aus – sein Roman „Die unterirdische Sonne“ ist dennoch ein beklemmendes, spannendes, die Erwachsenenwelt anklagendes Stück Literatur, das sich vor allem an Jugendliche (über 16 Jahren) wendet.

Gegliedert ist „Die unterirdische Sonne“ in drei Akte (die – ganz nebenbei an Jugendtheater gewandt – nach einer Dramatisierung schreien). Auf einer Insel sind fünf Jugendliche im Alter von 11 bis 16 Jahren seit Monaten in einem Kellerverlies eingesperrt. Fast jeden Tag wird ein Kind „nach oben“ geholt. Was dort genau geschieht, bleibt zunächst mysteriös, weil die Jugendlichen darüber nicht sprechen – andernfalls drohe der Tod, so jedenfalls die Angst der Kinder. Die Lage scheint aussichtslos, Gesprächsstoff bieten Rückblicke auf die Entführungen der einzelnen Jugendlichen, die mehr oder minder alle aus zerrütteten Familienverhältnissen stammen. Die Angst vereist Gefühle und Empfindungen, die Gedanken kreisen um Selbstmord. Bis Noah, ein neuer Jugendlicher in den Keller gebracht wird, der nicht bereit ist, die Gewalt der Kidnapper zu akzeptieren. Mit Noah bricht die „unterirdische Sonne“ in das Verlies: Die Kinder erzählen sich Märchen, die Sinnbilder für ihre Wünsche und Hoffnungen sind. Die Jugendlichen besinnen sich: Sie berichten vorsichtig und zaghaft von ihren Erlebnissen „von oben“, bringen zwei Peiniger in ihre Gewalt und fliehen von der Insel. „Sie haben eine Heldenreise hinter sich und keine Angst mehr vor der Zukunft“, so Ani in einem Interview.

Er sei froh, dass er nach vielen Jahren wieder ein Jugendbuch geschrieben habe, bekennt Ani, in dessen umfangreichen Oeuvre Jugendromane einen bedeutenden Platz einnehmen. Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, so unter anderem mit dem Tukan-Preis für das beste Buch des Jahres 2006 der Stadt München. Bekannt wurde Ani vor allem durch seinen Zyklus von Kriminalromanen um Tabor Süden, der zunächst für ein Kriminaldezernat nach vermisst gemeldeten Personen suchte und später in eine Detektei wechselte. Friedrich Ani lebt in München.

„Die unterirdische Sonne“ ist ein spannendes und quälendes Buch für Jugendliche, dem ein paar kräftige Schnitte gut getan hätten. Was den Roman über die Tagesaktualität heraushebt, sind die fünf Märchen, die sich die Kinder in dem Kellerverlies erzählen. Hier offenbart sich die Kraft der Poesie, für die Friedrich Ani ganz wunderbare Bilder gefunden hat. So beschreibt Ani zum Beispiel eine Krähe, die verstummte Stimmen einsammelt und den Stummen wieder zurückbringt. Oder eine Schneeflocke, die einen Gefangenen aus der Haftzelle befreit – poetische Bilder, die auch Erwachsene berühren dürften.
Ina Kuegler

Friedrich Ani: Die unterirdische Sonne
Roman (für Jugendliche ab 16 Jahren), 334 Seiten, cbt Verlag (Random House) München 2014
16,99 Euro