Warum gebrauchte Bücher daheim einsperren? In der Tausch-Box finden sie neue Leser und bereiten Freude

Münchens erster offener Bücherschrank ist seit Dezember 2013 in Betrieb und ein voller Erfolg. Der übermannshohe Kasten aus Stahl und Glas steht vor dem Nordbad in Schwabing. Meist ist er umringt von mehreren Menschen, die die Titel in den Regalen des verglasten Bücherregals studieren, in Büchern blättern oder sich unterhalten. Beim freien und kostenlosen Auswählen, Bringen und Mitnehmen von Büchern ergeben sich schnell Kontakte. So auch an diesem Sonntagnachmittag, trotz des kühlen Wetters.

Drei Frauen sind ins Gespräch gekommen. Eine ist an diesem Wochenende schon zum zweiten Mal hergeradelt, erzählt sie: „Gestern habe ich zwei Romane und ein Yogabuch mitgenommen. Die Romane habe ich inzwischen schon gelesen und gerade wieder zurückgestellt, das Yogabuch behalte ich, und jetzt schaue ich, ob ich noch etwas Neues finde.“ Die andere Frau hat einen Stapel Bücher mitgebracht, die sie in den Schrank einordnet. „Was sollen die daheim herumstehen? Ich lese sie ja doch kein zweites Mal, und hier freuen sich andere drüber.“ – „Bücher wirft man nicht weg!“ Darüber sind sich die Frauen einig. Obwohl … Mit spitzen Fingern zieht die Spenderin gerade ein original verpacktes, aber angeschimmeltes Bändchen aus dem Regal und bringt es, unter Zustimmung der anderen, zum Abfallkorb. Manch einer wird im Bücherkasten eben auch Dinge los, die garantiert niemand mehr haben will. Doch das ist die Ausnahme.

Weil kostenlos, finden hier auch in die Jahre gekommene Bestseller noch Abnehmer. Heute im Angebot: Zum Beispiel „Sorge dich nicht, lebe!“, „Salz auf unserer Haut“, „Liebe ist nur ein Wort“, oder die „Swann Saga“-Trilogie von R. F. Delderfield als Hardcover. „Am Flohmarkt gehen Bücher ganz schlecht“, erzählen die Frauen, und wenn, dann kriege man gerade mal zwei Euro für eines, das neu zwanzig gekostet hat; das lohnt sich nicht. Und im Internet? Da wird ein gebrauchter Band der Swann Saga zurzeit für 0,01 Euro gehandelt, plus 3 Euro Versandkosten.

„Der Bücherkasten wird von den Bürgern mit Begeisterung angenommen“, berichtet Thomas Rock vom Verein Offene Bücherschränke Schwabing West, in dem sich die Initiatoren des Projekts zusammengeschlossen haben. „Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell der Inhalt wechselt. Manchmal quillt der Schrank fast über, ein paar Stunden später ist er nahezu leer und am nächsten Tag wieder voll.“

In manchen Städten und Orten gibt es den kostenlosen Büchertausch zum Teil schon seit vielen Jahren. Als Tauschbox dienen da auch alte Telefonhäuschen oder Bushaltestellen. Die Münchner haben sich für die Luxusausführung des Kölner Architekten Hans-Jürgen Greve entschieden, weil diese auch den Anforderungen des Denkmalschutzes genügt, wetterfest und bruchsicher ist. Etwa 400 Bücher finden darin Platz. Den Preis von rund 8000 Euro hat zum Großteil der Bezirksausschuss gezahlt. Mehrere ehrenamtliche Paten aus der Nachbarschaft kümmern sich täglich um den Bücherschrank, sie putzen die Scheiben und achten darauf, dass keine Prospekte, Schundlektüre oder ewige Ladenhüter im Schrank verbleiben.

Auch die beiden Inhaberinnen der „Buchhandlung am Nordbad“ halten den Kasten für „eine ganz tolle Idee“, weil sie es generell gut finden, wenn Bücher weitergegeben werden. „Nicht toll“ finden sie jedoch, dass er genau auf der Seite des Nordbads platziert wurde, wo auch ihre Buchhandlung ist. Da hätte man sich vorher absprechen sollen, denn nun falle die Kundschaft weg, die sich früher auf dem Weg ins Freibad noch schnell ein Buch gekauft habe, um es auf der Liegewiese zu lesen. „Im Sommer tummelt sich ein Haufen Leute um den Bücherschrank, während wir in unserem Laden allein sind.“

Die Frauen am Bücherschrank aber sagen, dass sie nicht weniger Bücher kaufen, seit sie hier tauschen, denn „die Bücher, die man wirklich will, kauft man sich nach wie vor.“

Auf jeden Fall macht der offene Bücherschrank Schule in München. Weitere sind schon in Pasing, in Moosach, in Neuhausen und am Ackermannbogen geplant. Und vorm Nordbad wird es bald noch gemütlicher werden, denn neben dem Schrank wird eine Bank aufgestellt.
Simone Kayser