Ein wenig beunruhigend ist es schon, wenn man sich vorstellt, man lebt allein, kommt nach Hause und im Kühlschrank fehlt der Fisch, den man am Vortag gekauft hat. Dann hat sich offenbar jemand am Multivitaminsaft bedient …

Genau das passiert dem Protagonisten im Roman „Zimmer frei in Nagasaki“ von Éric Faye. Der Meteorologe, der allein lebt, hat eine große Wohnung. Ein Zimmer benutzt er kaum. Und so dauert es fast ein Jahr, bis er bemerkt, dass sich dort ein heimlicher Mitbewohner eingeschlichen hat, eine arbeits- und obdachlose Frau, wie er später erfährt. Die beiden sehen sich nur kurz im Verlauf der Geschichte, aber sie haben so viel gemeinsam: ihre Einsamkeit, ihre Verschlossenheit, ihre irgendwie ungelenken Versuche, ihre Sehnsüchte zu überspielen und doch zu überleben. Wir lernen die beiden auf nur 110 Seiten sehr gut kennen. Wir verstehen, dass die Geschichte in allen modernen Industriestaaten passieren könnte. Schließlich beruht der Roman auch auf einer Meldung in der Rubrik „Vermischtes“ in einer japanischen Zeitung. Der Leser begreift, wie sehr die Lebens- und Arbeitsbedingungen dem Menschen zusetzen können. Und nebenbei erfährt er eine Menge über Nagasaki und seine Werft, auf die der Protagonist immer wieder schaut und die 1945 das eigentliche Ziel der amerikanischen Atombombe war. Die Stadt musste ganz neu aufgebaut werden. Ob das auch den beiden „Helden“ der Geschichte mit ihrem Leben gelingt?

Der Roman ist 2010 in Frankreich unter dem Titel „Nagasaki“ erschienen und wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Für „Nagasaki“ erhielt Faye den Grand Prix du Roman de l’Académie Francaise. Bettina Deininger entdeckte ihn für ihren noch jungen Münchner austernbank verlag, übersetzte ihn und brachte ihn im vergangenen Jahr heraus – zum Glück für alle, die es lieben, sich spannend unterhalten zu lassen und den eigenen Blick auf die Welt neu auszurichten. Da liegt es nahe, auch gleich die übrigen Romane des Verlags zu testen: „Ich kann nicht sprechen“ von Franz Bartelt und „Ode an die Krake“ von Cécile Reyboz.

Die Gestaltung des Buchs verdient ein paar eigene Anmerkungen. Anja Wesner, bekannt als Mitarbeiterin beim „Münchner Feuilleton“, hat das Logo des Verlags – eine von Hand gezeich-nete Auster – sowie die Kapitelanfänge und den Umschlag entworfen. Da stehen sie, die beiden „Helden“, so nah beieinander und doch so weit weg voneinander.
Ursula Sautmann

Éric Faye
Zimmer frei in Nagasaki
Roman, aus dem Französischen von Bettina Deininger
Austernbank Verlag, 2014, 110 Seiten
16,90 Euro