Mit spürbarer Leidenschaft

Die Buchhandlung am Nordbad und ihre Stammkundin, die Autorin und Filmemacherin Doris Dörrie

Der Raum ist klein, man fühlt sich fast wie in seinem Wohnzimmer, umgeben von dem, was einem am liebsten ist, von Büchern. Nichts anderes erwartet man von einer Buchhandlung, aber diese vermittelt einem den Eindruck, als gebe es hier nur solche, die man auch in die eigene Bibliothek gestellt hätte. Man fühlt sich wie zu Hause, streift Mantel und Tasche ab, greift wahllos nach einem Buch und vertieft sich sofort hinein, als sei es genau das, wonach man auf der Suche war. Diesen Spagat zwischen eigenen Vorlieben und den ihrer Kunden vollbringen die beiden Inhaberinnen Marielle Krammel und Friederike Meier mit spürbarer Leidenschaft. Ihr Sortiment ist Ausdruck dessen, was sie für besonders lesenswert, wertvoll, unterhaltsam, spannend, schön oder außergewöhnlich halten. Immer dem persönlichen Geschmack geschuldet. Auf keinen Fall im Mainstream oder auf Bestseller-Listen zu finden. Krammel & Meier wissen, was sie ihren Stammkunden schuldig sind. Und die Laufkundschaft, unterwegs im gesichtslosen Häusereinerlei rund ums Nordbad, stößt unversehens auf das, was den Buchladen in der Elisabethstr. 55 auch für die Filmemacherin und Buchautorin Doris Dörrie so anziehend macht: „Schöne Atmosphäre, kein Chichi, sehr gut sortiert und zwei hervorragend informierte Buchhändlerinnen.“

2009 übernahmen Krammel & Meier die dort ansässige Buchhandlung Damonte, der damit verbundene Generationswechsel veränderte auch die Bandbreite des Angebots. Überraschend, dass angefangen bei den Kinder- und Jugendbüchern über Belletristik, Krimis, Biographien und Lyrik, Sachbüchern aus Politik, Gesellschaft und Geschichte, Bavarica, Reiseführern und -erzählungen bis zu Koch- und Hörbüchern so viele Themenbereiche in dem kleinen Raum Platz finden. „Uns interessiert eben so vieles“, sagen die beiden Frauen übereinstimmend. „Wir teilen uns auch nicht auf, jede kann über jedes Buch eine kurze, aber leidenschaftliche Rede halten. Manche Kunden wollen ja lieber schweigend herumstöbern, andere wollen beraten werden und verlassen sich auf unsere Tipps.“ Auf ihrer Website haben sie eine lange Liste von Titeln zusammengestellt, mit ungewöhnlichen, neugierig machenden Empfehlungen. Man müsse sich ständig etwas Neues einfallen lassen, um das Vertrauen der Kunden zu gewinnen und sie davon zu überzeugen, dass ein direktes Gespräch zu einem befriedigenderen Ergebnis führt als der anonyme Einkauf im Online-Buchladen. Dem neuen Ideal des inhabergeführten Buchhandels, der sogenannten kuratierten Buchhandlung wollen sie allerdings nicht folgen. Sich von einem Kurator die Bücher der Woche-Auswahl aus der Hand nehmen zu lassen, das können sie sich nicht vorstellen. Höchstens den einen oder anderen Buchtipp mit dem Hinweis „Empfohlen von…“

Es ist dieses unbedingte persönliche Flair, das auch Doris Dörrie immer wieder hierher zieht. „Eine Buchhandlung ist für mich Ort der Inspiration und des Flanierens. Oft finde ich gar nichts Bestimmtes, manchmal stolpere ich über Bücher, von denen ich im Netz niemals erfahren hätte, und wenn ich bestimmte Bücher suche, die vielleicht nicht da sind gerade, werden sie mir prompt bestellt.“ Lesen sei für sie schon immer eine wichtige Beschäftigung gewesen. „Wir hatten keinen Fernseher, als ich Kind war, die ganze Familie hat nach dem Abendessen gelesen, wir durften uns jedes Buch in der umfangreichen Büchersammlung meiner Eltern schnappen, und wenn wir für ein Buch zu jung waren, vertrauten sie darauf, dass wir es dann wieder weglegen würden. Die Möglichkeit, in eine andere Welt abzutauchen, ohne sich vom Fleck zu bewegen, hat mich schon als Schulkind unendlich fasziniert. Zuerst waren es Märchen, dann Karl May und dann sehr bald Dostojewski…“

Dörrie tanzt als Autorin, Drehbuchschreiberin, Filmemacherin, Opernregisseurin und Professorin an der HFF sozusagen auf allen Hochzeiten. Nach der Einsamkeit des Schreibens ist für sie das Getümmel beim Drehen der Ausgleich. Beides sei gleich wichtig, das eine immer die Belohnung für das andere. Ihr letztes Buch hat den Titel Diebe und Vampire, das seien im übertragenen Sinn die Schriftsteller, und sie begründet das so: „Ganesha, der indische Gott der Diebe, ist auch der Gott der Schriftsteller. Er isst jede Menge Süßigkeiten und hält gleichzeitig eine Feder in der Hand. Das, finde ich, ist eine gute Berufsbeschreibung. Der Welt ihre Geheimnisse mit der Feder abzutrotzen hat auch immer ein wenig mit Diebstahl und Vampirismus zu tun.“ Nach Plänen auf jedweder ihrer „Spielwiesen“ befragt, sagt sie: „Im Augenblick freue ich mich, dass unser Spielfilm
Grüße aus Fukushima in die Kinos gekommen ist, und dann werde ich mich wieder in meinen kleinen Sandkasten setzen mit Papier und Stift.“

Katrina Behrend Lesch

Hiermit beschließen wir unsere Serie „Meine Lieblingsbuchhandlung“, in der wir uns auf den Spuren von Prominenten und ihren bevorzugten Buchläden durch München bewegt haben. Vorgestellt wurden: Buch & Bohne mit Christoph Poschenrieder, Lehmkuhl mit Hans Magnus Enzensberger, Buch in der Au mit Su Turhan, Literatur Moths mit Thomas Jonigk und Christof Loy, die Autorenbuchhandlung mit Albert Ostermaier, Lillemor’s Frauenbuchladen mit Luisa Francia, Colibris mit Dagmar Leupold, Buchpalast mit Christoph Well, Glatteis mit Friedrich Ani, Lost Weekend mit Ulrich Dittmann und last but not least die Buchhandlung am Nordbad mit Doris Dörrie.