Der Bannkreis des „Zauberberg“ – Thomas Manns großer Zeitroman in einer als Collage inszenierten Werkschau im Literaturhaus

Im Mai 1912 reiste Thomas Mann nach Davos, um seine Frau, die dort für einige Monate zur Kur in einem Sanatorium weilte, zu besuchen. Den Tod in Venedig hatte er noch nicht fertig, aber bereits die Idee für ein humoristisches Gegenstück, leicht und unterhaltsam, nicht viel länger als eine etwas ausgedehnte short story. „Sie war gedacht als ein Satyrspiel zu der tragischen Novelle, die ich eben beendete. Ihre Atmosphäre sollte die Mischung von Tod und Amüsement sein, die ich an dem sonderbaren Ort hier oben erprobt habe …“, schreibt er in seiner Einführung in den ,Zauberberg‘ aus dem Jahre 1939. Im Juli 1913 begann er mit der Novelle, stellte dann fest, dass der Stoff sehr viel mehr Raum und Zeit in Anspruch nahm als vorgesehen, unterbrach die Arbeit während des Weltkriegs und machte sich 1919 an eine intensive Umarbeitung. Das Werk, das dann im November 1924 erschien, war über 1000 Seiten lang und fand sofort ein enthusiastisches Publikum.

Das mag erstaunen angesichts der mageren Handlung, die schnell erzählt ist.
Der Hamburger Kaufmannssohn Hans Castorp fährt nach Davos, um seinen lungenkranken Vetter zu besuchen. Dort gerät er in den Sanatoriumsbann, verfällt der bestrickenden Clawdia Chauchat, gewinnt zwei „Erzieher“, Settembrini und Naphta, bewundert die Lebens- und Genusskraft des Mynheer Peeperkorn, gibt seinem Hang zu Bequemlichkeit und Faulheit nach, erliegt der Liebe und Erschlaffung. Sieben Jahre verweilt er im Zauberberg, erst der Kriegsausbruch von 1914 holt ihn zurück ins Flachland, wo er als Soldat im Gewimmel der Schlacht uns aus den Augen gerät.

„Für dieses bisschen Handlung verbraucht Thomas Mann tausend Seiten“, schreibt Hermann Kurzke in seiner Biographie über den Schriftsteller und beschreibt die „riesigen Materialmoränen“, die die Arbeit am Zauberberg aufgetürmt hat. Medizinisches, Biologisches, Psychoanalytisches, Philosophisches, Theologisches und Politisches, alles, was ihm für sein Werk verwendbar erschien, wurde in den Text einmontiert. „Er ging durch seine Welt wie ein Treibnetz, in dem alles Brauchbare hängenblieb.“

Wie nun in einer Ausstellung sich diesem Riesenwerk nähern? „Tod und Amüsement“ wählten die Kuratorinnen Karin Becker und Karolina Kühn als Titel für die Werkschau rund um Thomas Mann „Der Zauberberg“, die jetzt im Literaturhaus läuft. Mit ihrem Konzept versuchen sie, dem Besucher jene Welt des Sanatoriums begreiflich zu machen, von der Hans Castorp sich hat verzaubern lassen. So begleitet man ihn auf seiner Eisenbahnfahrt vom Flachland ins Hochland, lässt die Hochgebirgslandschaft vorbeiziehen, vollzieht mit ihm die Reise aus „Heimat und Ordnung“ ins Ungeheuerliche und Unordentliche. Vorboten sind die Abgründe, die Schründe und Spalten, an denen der Zug vorbeisteigt, seine schwarzen Rauchmassen ausstoßend. Dann ist man oben und taucht ein ins Sanatorium.

In seiner Einführung zur Ausstellung schreibt Teamleiter Reinhard G. Wittmann: „Was kann man ZEIGEN, um Interesse für dieses Werk zu wecken und Wege zum Verständnis eröffnen? Zeigen kann man das, was Thomas Mann gesehen, erfahren, erlebt hat – und was davon für Ort, Zeit und Handlung des Romans konstitutiv und wichtig geworden ist.“ Man durchwandert vier große Räume, die jeweils eine neue Themenwelt erschließen: die Liegekur, der Salon, das Behandlungszimmer und das winterliche Schneegestöber (Gestaltung: unodue münchen). Jeder Raum besteht aus einer Collage aus Originaltext – die Audiobegleitung ist hier fast unentbehrlich –, Bildern, Exponaten und Geräuschen, die zusammen genommen der Atmosphäre des Zauberbergs näher rücken wollen. Was am allerwenigsten gelingen will, denn zeigen lässt sich das Gefühl nicht, das Castorp sieben Jahre an diesen Ort bannt. Der Liegestuhl, das Grammophon, die chirurgischen Werkzeuge, sie zeichnet eine gewisse Banalität aus, und erst im Romantext wird man auf die Dinge dahinter gebracht. Man sollte ihn also lesen, das auf jeden Fall.

Interessant und aufschlussreich sind die als Pendant zur Fiktion des Romans aufgeschlüsselten historischen Hintergründe, der Schreib- und Entstehungsprozess, der Blick über die Schulter des Zauberers, wie T. M. von seinen Kindern genannt wurde. So ließen die Erschütterungen während des Krieges die Arbeit am Zauberberg ins Stocken geraten und führten zu den Betrachtungen eines Unpolitischen. Dass T. M. seine Hauptfiguren immer aus Vorbildern der eigenen Biographie schuf trifft für den Zauberberg in geringerem Maße zu. Sie sind „im Kern nicht erlebt, sondern konstruiert und aus Zusammengelesenem montiert“, schreibt Hermann Kurzke. „Mynheer Peeperkorn bekommt zwar einzelne Züge von Gerhart Hauptmann, aber in die Tiefe reicht das nicht.“ Hauptmann war dennoch wütend, wie der ausgestellte Brief beweist. Eine wichtige Inspirationsquelle auf dem Weg zum Roman war auch Thomas Manns reger Austausch mit seiner Frau Katia während ihres ersten Besuchs im zauberhaften Davos.

Das Schneegestöber im letzten Raum lässt Castorps Entrückung in den Zauberberg noch am ehesten nachempfinden. In seiner Rede Von deutscher Republik aus dem Jahr 1922 scheint Thomas Mann seinen Roman in einem Satz zusammenzufassen. „Keine Metamorphose des Geistes ist uns besser vertraut als die, an deren Anfang die Sympathie mit dem Tode, an deren Ende der Entschluß zum Lebensdienste steht.“ Dass dieser in den Ersten Weltkrieg führt ist eine bittere Pille.

Katrina Behrend Lesch

Ausstellung „Tod und Amüsement“ Thomas Mann „Der Zauberberg“.

Literaturhaus, Salvatorplatz 1.
Vom 16.3. bis 26.6.2016.
Öffnungszeiten: Mo–Fr 11–19 Uhr,
Sa/So/Feiertage 10–18 Uhr.
Eintritt: 5/3 € (inkl. Audiobegleitung).