Ein erdichtetes Leben
Neue Biografie zum 150. Geburtstag von Ludwig Thoma

Wer nach Dachau fährt, stößt unweigerlich auf Ludwig Thoma. Er findet dort eine Ludwig Thoma Wiese, eine Ludwig-Thoma-Straße und das Ludwig-Thoma-Haus; die Ludwig-Thoma-Schule schließt diesen Sommer.
Den Dachauern gilt Thoma als Dorfheiliger, auch wenn er kaum drei Jahre dort verbracht hat. Aber seine bekanntesten Bühnenstücke und Romane spielen in und um Dachau. Der Ruepp – Andreas Vöst – Erster Klasse etc. An der Rückwand des Foyers im Ludwig-Thoma-Haus steht der Satz „Wenn ich zurückdenk’, am schönsten war es doch in Dachau“. Das schrieb Thoma am Ende seines Lebens in einem Brief an seine Geliebte Maidi von Liebermann.

Dabei war Dachau ursprünglich nur Thomas zweite, ja dritte Wahl. So beschreibt es der Münchner Journalist
und langjährige SZ-Redakteur Martin A. Klaus in seiner Biografie „Ludwig Thoma – Ein erdichtetes Leben“. Thoma, der von 1867 bis 1921 lebte, hatte sich nach seinem Jurastudium und einem Rechtspraktikum in München niederlassen wollen, fürchtete aber dort die übermächtige Konkurrenz. Erding – seine zweite Wahl – stellte sich als wenig ergiebig dar, nur Dachau galt als streitlustige Gegend, wo man gern „advokatisch“ wurde. Dort ließ er sich 1894 breitspurig im Rauffer-Haus in Dachaus Zentrum nieder, obwohl ihm eigentlich die Mittel dazu fehlten.

Klaus beschreibt Thoma als schüchternen Menschen gegen Fremde und derben Grobian gegen Bekannte. Er wirft ihm einen angemaßten Doktortitel vor, den er nie erhalten habe und zählt seine Intrigen auf gegen alle, denen er angeblich nicht gewachsen war. Besonders gelte das für seine Zeit beim „Simplicissimus“, dem Thoma ab 1897 angehörte. Beim Verleger Albert Langen habe er sich unentbehrlich gemacht, indem er ihm – der im Pariser Exil ausharren musste –als Zuträger diente. Dadurch habe er es geschafft, seine Widersacher Frank Wedekind und Korfiz Holm –Prokurist des Verlags – auszustechen und selbst Chefredakteur zu werden. In 20 Jahren seines Wirkens beim Simpl habe sich Thoma mit allen verkracht. Letztendlich auch deswegen, weil er 1914 in den allgemeinen Hurra-Patriotismus einschwenkte, wo er zuvor alles Militaristische und Preußische gegeißelt hatte.

Martin A. Klaus führt Thomas Verhalten auf seine ungeliebte Kindheit zurück. Der Vater Max – Oberförster in Vorderriss – starb früh an den Folgen seiner Trunksucht; die Mutter Katharina versuchte Ludwig zu einer Laufbahn als Pfarrer zu zwingen und entzog ihm ihre Zuneigung, als sie feststellen musste, dass der Junge sich widersetzte. Thomas einzige Waffe gegen alle Ungerechtigkeiten seines Lebens war die spitze Feder. Und wie viele seiner schreibenden Kollegen hat er aus seinem Leben geschöpft.

Klaus’ Hauptkritik an Thoma ist dessen Opportunismus und sein unterschwelliger Hang zum Nationalistischen, der sich in seinen späten Jahren vollends in den anonymen Briefen an den Miesbacher Anzeiger niederschlug. Wahllos drosch er darin auf Juden und Kommunisten ein. Klaus geht sogar soweit zu behaupten, dass sich Hitler und Thoma in den Anfangszwanzigern gekannt haben müssen, was er aber nicht belegen kann. Und das ist auch – neben Klaus’ genereller Abneigung gegen Thoma –
die größte Schwäche des Buches. Klaus leistet sich etliche Mutmaßungen, die sich nicht beweisen lassen, sondern – seiner Meinung nach – zwingende Schlussfolgerungen seien. So ist es nicht verwunderlich, dass es bei der ersten Autorenlesung in Dachau zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Autor Klaus und anwesenden Histori-kerInnen kam.

Trotzdem verdient Klaus’ Thoma-Biografie größte Aufmerksamkeit. Und Dachau wird sich überlegen müssen, wie es mit dem Namensgeber seines größten Veranstaltungshauses in Zukunft umgehen will.
Michael Berwanger

Martin A. Klaus
Ludwig Thoma – Ein erdichtetes Leben
Biografie, gebunden, 300 Seiten
dtv, München 2016
26 Euro