Eine langsame Stadt
Erst spät würdigt München die Dichterin Anette Kolb 

Von Antonie Magen

Googlet man die Adresse „München, Sophienstr. 7“, wird man mit der Homepage des Parkcafés am alten botanischen Garten verbunden, die den kulinarisch Interessierten mit „deutsche[r] Hausmannskost, bayerische[n] Schmankerl[n] oder internationaler Küche“ lockt. In der Rubrik „Über uns“ findet sich zwar ein kurzer Abriss zur Geschichte des Restaurants, der auch darüber informiert, dass sich „zwischen 1854 und 1931 […] an der Stelle des heutigen Park Cafés der riesige Glaspalast“ befand. Allerdings wird nirgendwo darauf verwiesen, dass direkt neben dem avantgardistischen Ausstellungsgebäude aus Glas und Eisen, und zwar so dicht, dass „es sozusagen daran lehnte“, ein weiteres Gebäude stand, nämlich ein „etwas gespenstisch aussehende[s] Haus, das die Nummer Sieben trug“.

Das so charakterisierte Bauwerk war das Elternhaus von Annette Kolb, dem sie im autobiografisch gefärbten Roman „Die Schaukel“ ein literarisches Denkmal setzt. Im Laufe des Buchs wird es zum Symbol einer Bipolarität von Bayerisch-Bodenständigem und International-Künstlerischem, die sowohl Annette Kolbs Biografie als auch ihr literarisches Schaffen und nicht zuletzt ihr Verhältnis zu München zeitlebens bestimmte.

Bis Februar 1917 hatte Annette Kolb – Tochter des königlich bayerischen Gartenbauinspektors und illegitimen Sohns von Max II., Max Kolb, und der französischen Pianistin Sophie Danvin – ihren Wohnsitz in München. Vor dem Tod der Eltern in der Sophienstr. 7, danach am Habsburgerplatz 3. Gleichwohl war diese Zeit durch Reisen und ausgedehnte Aufenthalte im Ausland geprägt. Insbesondere Paris, die Heimatstadt der Mutter, suchte sie immer wieder auf. Diese internationale Orientierung veranlasste sie, sich mitten im Ersten Weltkrieg für Völkerverständigung, speziell für die Versöhnung der „Erbfeinde“ Frankreich und Deutschland einzusetzen. Eine Haltung, die ihr Sanktionen des bayerischen Kriegsministeriums einbrachte. Da sie befürchten musste, als Landesverräterin verhaftet zu werden, floh sie 1917 in die Schweiz.

Nach dem Krieg kam sie aus dem Exil zurück, besuchte München aber nur stippvisitenartig. Als sie im Herbst 1919 die Wohnung am Habsburgerplatz aufsuchte, beschimpfte sie der Vermieter als Landesverräterin und verweigerte ihr den Zutritt. Dauerhaft nieder ließ sich in der Zwischenkriegszeit im deutsch-französisch-schweizerischen Grenzgebiet: In Badenweiler baute sie ein kleines Häuschen, in dem sie allerdings geistig in ihre Vaterstadt zurückkehrte. Hier entstanden die beiden großen Münchenromane „Daphne Herbst“ und „Die Schaukel“.

1933, wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung, verließ Annette Kolb Deutschland erneut und siedelte sich abermals in der Schweiz und in Frankreich an. Schließlich gelang ihr 1941 auf verschlungenen Wegen die Flucht in die USA. Zurück in Europa ging sie 1945 nicht etwa nach München, sondern nach Paris. Nun begann die Zeit der Ehrungen, und auch ihre Vaterstadt ließ ihr aus der Ferne Auszeichnung zukommen: 1950 wurde sie zum Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste ernannt. Im Jahr darauf folgte der Literaturpreis der Stadt München, anlässlich dessen Verleihung Hermann Kesten schrieb: „Die Münchener kommen noch langsam dahinter, dass es eine genialische Münchner Dichterin gibt. Ja, die Bayern sind eine künstlerische, aber sehr langsame Nation“.

Ebenso verspätet war die endgültige Rückkehr von Annette Kolb nach München, die erst 1961 erfolgte. Sie bezog eine Wohnung in der Händelstr. 1, einem schmucklosen Nachkriegsgebäude in Bogenhausen. Im Gegensatz zur Sophienstr. 7 hat es literarisch keinerlei Bedeutung mehr. – Allerdings ist es dieses Haus, an dessen Fassade sich heute eine Gedenktafel für Annette Kolb befindet. 18 Jahre nach ihrem Tod, am 1. Juli 1985, enthüllte sie der dritte Bürgermeister der Stadt, Klaus Hahnzog. Beim anschließenden Festakt betonte er, dass Annette Kolb als Münchner Schriftstellerin akzeptiert sei „und nicht nur deshalb, weil sie, wie sie einmal gesagte hat, ‚einige Bücher schrieb, die von München handeln‘ “.

P.S. In einer Serie stellen die „LiteraturSeiten München“ Dichter-Denkmäler in der Landeshauptstadt vor. Bislang waren es die von Kurt Eisner, Heinrich Heine, J.W. Goethe, Lion Feuchtwanger, Frank Wedekind und Clemens Brentano.