„Ins Blaue!“ führt die neue Ausstellung im Literaturhaus über Natur in der Literatur

Von Katrina Behrend Lesch

Die Farbe ist es, die den Ton angibt. Hören Sie selbst! Ab ins Grüne, das klingt nach Wald, Wiese, Heide, nach einem Ziel mit Namen. Ins Blaue hingegen verheißt Weite, das Grenzenlose, die Suche nach der blauen Blume, das Symbol für Sehnsucht und Liebe in der Romantik. Ins Blaue, da sind wir Taugenichts, der in die Welt hinauszieht mit nichts als seiner Geige und ein paar Groschen. „Hinter der Nebelwand im Gehirn gibt es noch andere Gegenden, die blauer sind, als du denkst“, schreibt Hans Magnus Enzensberger. Diesen Gedanken haben die Macherinnen der Ausstellung aufgegriffen, als sie das ungeheuer weite Feld von 2.500 Jahren Literaturgeschichte der Natur zu fassen suchten.

Natur in der Literatur ist anders als die, die uns umgibt. Sie ist erfunden, künstlerisch gestaltet, poetisiert. „Als ihr ewiger Wider- und Gegenstand geistert die Natur durch das Form-, Wort-, Klang- und Bildmaterial der Literatur“, sagt Kuratorin Heike Gfrereis. In  Zusammenarbeit mit Projektleiterin Karolina Kühn hat sie sich für das Spielerische, absichtlich Befremdliche entschieden. Und die Tür für eine Fülle von Assoziationen und poetischen Möglichkeiten aufgestoßen.

Der Besucher lustwandelt durch elf Kunst-Naturräume, die auf großen weißen Flächen mit Wortpaaren und kurzen Texten Gedankenverknüpfungen herstellen (Gestaltung: unodue{münchen). So lässt der HIMMEL, das GRAS in ihm vielleicht das Verlangen aufblitzen, sich ins Gras zu werfen und in den Himmel zu schauen, was er auf einer grasigen Lagerstätte mit wandernden Wolken darüber auch sofort in die Tat umsetzen kann. Ein idyllisches Bild, denkt man an den „Hirtenknaben“ von Franz von Lenbach, doch kommt aus dem Himmel nicht auch Bedrohliches, stechende Hitze, Blitz und Hagelschlag? Berühmt, bekannt, auch überraschend die Texte von Mörike, Friedrich Nietzsche, Konrad Beyer u.a., die Fundstücke aus den Archiven, ein Brief mit einer Fliege aus dem Briefwechsel der Eheleute Schiller, die Tafel „Newtonsche Mücken und Homogene Lichter“, mit der Goethe in der Farbenlehre zeigte, wie relativ unsere Farb-und Ding-Wahrnehmung ist. Von Robert Walser ist zu lesen: „Die Natur ist nützlich und gut, keineswegs entzückend. Auf der Bank liest er ein Buch. Drum herum ist Natur, aber eben, das ist es, die Natur ist gut zum Drumherumliegen, das Buch ist die Hauptsache.“ Begehbare Wunderkammern also mit Titeln, die subjektiv kombiniert sind, gewollt eigenwillig. Was hat die Nacht mit dem Stein zu tun, das Feuer mit den Tieren, die Luft mit dem Schatten? Würde man selbst nicht andere Wortpaare wählen, passendere? Was sich reibt, das reizt – zum  Nachsinnen, Nachlesen, Nachdenken.

Den 35 Autoren*innen ist es wohl auch so ergangen, als sie um ihre persönlichen Objekte für die Ausstellung gebeten wurden. In ihrer Diversität geben diese in zweierlei Hinsicht Auskunft, über die Natur der Geberin, des Gebers und über die Vielfalt der Natur schlechthin. Carmen Stephans Fotografie eines Mückenstichs und ihre Angst, es könnte wieder eine Malaria-Mücke gewesen sein. „ … Die Illusion einer Distanz entsteht: Ich hier, dort die Natur“, schreibt sie. „Ein Mückenstich führt die angebliche Trennung in einer Sekunde ad absurdum. Enger als durch Blut kann man nicht verbunden werden.“ Oder die Hyäne von Marcel Beyer, die ihn an das große Unheil erinnert, das über sein Haus kam. Sein zweites Kind starb. Einfach so. Für Barbara Vinken sind ihr Lieblingsding zwei, nämlich „Ohrringe aus dem glänzendsten, schwersten Kristallglas, das auf dieser Welt zu haben ist … Sieht man genau hin, steht die Welt in ihnen Kopf – en miniature. Wie die Seifenblasen auf Vanitas-Bildern zeigen sie nichts als die Kunstfertigkeit, die nötig ist, um den vollkommenen Moment einzufangen.“

Nicht zuletzt durch die Beiträge von Künstlerinnen wie Brigitte Kowanz und Herlinde Koelbl, Dorado Fidos und Brigitte Stenzel ist eine leichte, anmutige, verspielte Ausstellung zustande gekommen, auch wenn sie den bedrohlichen, unheimlichen Aspekt von Natur nicht außer Acht lässt. Er schwingt sozusagen immer mit, ein Foto zeigt das auf besondere Weise. Kein Katastrophenbild von einer Überschwemmung oder einem Lawinenabgang, sondern der im Schnee tot daliegende Robert Walser.

Fußstapfen führen zu ihm hin, bleiben kurz davor stehen, sonst weiße Fläche, der dunkle Körper, der davon gerollte Hut. Nichts könnte besser versinnbildlichen, was die Natur immer tut: sie interessiert sich nicht für uns.

Ins Blaue! Natur in der Literatur.
Eine Ausstellung des Literaturhauses München. Noch bis zum 7.10.2018.
Mo-Fr 10-19 Uhr, Sa/So/
Feiertage 10-18 Uhr. 6/4 Ä. Mo für
Studierende und Schüler*innen 2 €.
Info: www.literaturhaus-muenchen.de