Vor hundert Jahren eröffnete Circus Krone nicht nur mit Menschen Tieren Sensationen, sondern auch mit Großkundgebungen von Adolf Hitler.

Von Ina Kuegler

Hundert Jahre hält diese Verbindung nun schon, hundert Jahre Circus Krone und München. Am 10. Mai 1919 wurde auf dem Marsfeld der Circus-Krone-Bau eröffnet, mit der Araber-Stute Puppchen und mit Assam, dem einzigen Elefanten, der auf den Hinterbeinen durch die Manege laufen konnte. Zuvor war der Circus jahrzehntelang mit Wagen, Sonderzügen und Zelten durch ganz Europa getourt, jetzt gab es einen Festbau, einen 4.000 Zuschauer umfassenden runden Saal, der als Versammlungsort auch in die (Literatur)Geschichte einging. Hier gastierten 1966 nicht nur die „Beatles“, hier hatte Adolf Hitler seine ersten großen Kundgebungen.

Die literarischen Zeugnisse aus den frühen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts über Circus Krone ranken sich alle um ihn. Seinen wohl berühmtesten Auftritt hatte er dort am 3. Februar 1921. In „Mein Kampf“ schildert er die Versammlung detailliert. Im Anhang von Hitlers Pamphlet ist das Plakat abgebildet, das auf die „Riesenprotestkundgebung“ hinwies. Am Morgen noch befürchtete Hitler, dass der „kolossale Raum“ nicht voll werden könnte. Er ließ zusätzliche Flugblätter drucken und Lkws mit Hakenkreuz-Fahnen durch München fahren. Seine Angst erwies sich als unberechtigt: Um 20 Uhr war die „Riesenmuschel“ mit Tausenden Anhängern gefüllt, zweieinhalb Stunden polemisierte Hitler gegen Reparationsbestimmungen der Briten und Franzosen.

Er sollte noch weitere Auftritte im Circus Krone haben – nachzulesen sind sie u.a. bei Lion Feuchtwanger, der bis 1925 in München lebte. In „Die Brüder Lautensack“ etwa beschreibt er die Stimmung im Krone-Bau: „Alles fügte sich ineinander, die mächtig drohenden schwarzen Hakenkreuze auf den weißen Kreisen der blutroten, aufreizenden Fahnentücher, die braunen Uniformen, die rauschende Musik, das Geschrei und die dumpfe Gier der Masse.“ Und Bert Brecht (in Begleitung von Arnolt Bronnen) registrierte bei einer Hitler-Rede vom Juni 1923 im Circus Krone „das Spektakel, die Massenregie und die Massenauftritte des Hitler-Klüngels“.

In seinen Lebenserinnerungen „Gelächter von außen“ schildert Oskar Maria Graf ausführlich die Anfänge der NSDAP und Hitler-Kundgebungen in München: „Fast tausend Kleinkrämer, Bäckermeister, stellungslose Schankkellner, graugewordene Buchhalter und Rentner, Milchfrauen, Witwen und anderes Mittelstandsvolk konnten ihn jede Woche im überfüllten Circus Krone sehen und hören. Nach flotten Militärmärschen trampelten ruck-zuck uniformierte Braunhemden, mit dem Hakenkreuz bemützt und gestiefelt, von den Seitengängen vor zur Rednertribüne.“ Weiter heißt es bei Graf: „Alsdann tauchte aus dem dicken Dunst, der nach Tierurin und Kasernenmief roch, am Rednerpult Hitler auf. Mit seinem Zahnbürstenbärtchen und der dicken dunklen, fettig glatten Haartolle sah er aus wie alle Mannsbilder da drunten in der gespannten Zuhörermasse, weil sie wußte, der vorn redete genauso wie sie, schimpfte die ‚Berliner Judensippschaft‘ und den ‚gewissenlosen, verrotteten Bonzenstaat‘ so in Grund und Boden, dass es eine Freude war. Wirklich, in diese Circus-Krone-Kundgebungen, da konnte jeder hingehen und durch Zwischenrufe wie ‚Raus mit dö Saujuden‘, Aufhänga dö ganze Regierungsbagasch‘ seinem Zorn freien Lauf lassen.“ Nicht unbedingt eine Augenzeugin dürfte Gabriele Tergit gewesen sein, in deren Familiensaga „Effingers“ aus dem Jahr 1951 (das Buch wurde erst kürzlich im „Literarischen Quartett“ des ZDF gefeiert) sich eine Passage mit einer Hitler-Kundgebung im Circus Krone findet. Im 104. Kapitel heißt es: „Das ungeheure Rund des Zirkus war verdunkelt. In einen Lichtkegel trat der Redner: ‚Du alte Frau‘, sagte er in scharfem Dialekt, ‚Wer ist schuld daran, dass Du so elend aussiehst? Wer hat Dich um dein Geld gebracht?‘ Aus dem Riesensaal tönte von hinten eine Stimme, eine dunkle, schwere Stimme: ‚Der Jude.‘ Von der rechten Seite kam eine zweite Stimme: ‚Der Jude‘. Die Stimmen kamen langsam, einzeln, von oben, von unten: ‚Der Jude, der Jude, der Jude. Wer hat uns unter die Zinsknechtschaft gebracht? Das jüdische Bankgesindel. Wem muss das deutsche Volk seine Eisenbahnen geben? Dem Juden Morgan. Für wen rackerst Du in Deinem Feld, deutscher Bauer? Für die Finanzjuden in New York’.“

Bei einem Luftangriff am 21. Dezember 1944 wurde der Krone-Bau zerstört. Nach dem Krieg entstand zunächst ein Provisorium; der Nachfolgebau, der auch heute noch 3.000 Personen Platz bietet, wurde am 23. Mai 1962 eröffnet. Als Versammlungsort diente er weiter, u.a. am 20. April 1958, als die Kampagne „Kampf dem Atomtod“ eine Kundgebung im total überfüllten Circus hatte. Die Protestbewegung der außerparlamentarischen Opposition war gegen die seinerzeit geplante Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen gerichtet und als Aktion Vorläufer der Ostermarsch-Bewegung. Als führender Kopf von „Kampf dem Atomtod“ und dem „Komitee gegen Atomrüstung“ wirkte der Schriftsteller Erich Kästner, nach der Krone-Rede führte er eine Demonstration durch München an, an der 8000 Menschen teilnahmen. Zu den Gründungsmitgliedern des Komitees gehörten auch Günter Eich, Hans Werner Richter, Gertrud von Le Fort, Walter Jens, Wolfgang Koeppen, Ilse Aichinger und Alfred Andersch.

Man sieht, Circus Krone repräsentierte zwei Welten. Das war einmal, heute wird die Arena nicht mehr an politische Veranstaltungen vermietet.