Dr. Martin Rohmer leitet das internationale Residenzprogramm der Stadt München.
Die LiteraturSeiten haben ihn befragt.

LiteraturSeiten München (LSM): Die Villa Waldberta ist das Residenzhaus der Stadt München für internationale Stipendiatinnen und Stipendiaten, gelegen ist die Villa aber am Starnberger See, in Feldafing. Wie ist es dazu gekommen?

Dr. Martin Rohmer: Die Villa Waldberta wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut und hat eine wechselvolle Geschichte, schön aufbereitet in Tobias Mahls Buch „Kosmopolitentreff und Künstlerhaus. Die Villa Waldberta als Spiegel des 20. Jahrhunderts“. Die Villa stand auch in Privatbesitz schon immer für Kunst, Kultur und Begegnung. Die letzte Eigentümerin der Villa, Bertha Koempel, stiftete das Anwesen der Landeshauptstadt München, und seit 1983 ist hier das Artist-in-Residence-Programm derStadt angesiedelt. Internationale Gastkünstler*innen wohnen auf Zeit, arbeiten und präsentieren sich selbst und ihre Arbeit der Öffentlichkeit.

LSM: Werden alle künstlerischen Genres und Richtungen berücksichtigt oder gibt es Schwerpunktsetzungen bzw. Quoten?

Rohmer: Die ersten 20 Jahre waren ausschließlich Schriftsteller*innen und bildende Künstler*innen im Haus. Seit 2005 steht die Villa jedoch Künstler*innen aller Sparten zur Verfügung. Da die Belegung immer in Kooperation mit Münchner Partner*innen erfolgt, um auch eine Anbindung an München zu gewährleisten, variieren die Schwerpunkte von Jahr zu Jahr. Es funktioniert auch nicht jede Sparte gleich gut in der Villa. Für die darstellenden Künste ist das Haus nur eingeschränkt geeignet. Das liegt zum Einen an den spezifischen Räumlichkeiten, aber auch daran, dass „Residencies“ im Bereich Theater und Tanz anders funktionieren.

LSM: Wie werden die Stipendiatinnen und Stipendiaten ausgewählt, wer kann sich bewerben?

Rohmer: Seit 2005 wurden die Stipendiatinnen und Stipendiaten, die ihren Wohnsitz außerhalb Bayerns haben müssen, fast ausschließlich projektgebunden und auf Vorschlag von städtischen oder städtisch geförderten Kooperationspartnern in München eingeladen. Seit einigen Jahren gibt es zusätzlich einen Austausch mit Residenzprogrammen im Ausland, dem Taipei Artist Village (Taiwan) und dem Gwangju Museum of Art (Gwangju, Südkorea), bei denen die Gastkünstler*innen über Ausschreibungen ermittelt werden. In diesem Jahr gab es zudem erstmals eine weltweite Ausschreibung zusammen mit dem Kunstverein München für eine „writer‘s residency“. Ausschreibungen – ob spartenspezifisch, thematisch oder ganz frei – werden in Zukunft verstärkt durchgeführt werden, um dem Haus international ein schärferes Profil und mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Die Belegungsschwerpunkte werden einmal jährlich dem Kuratorium der Villa Waldberta, bestehend aus fünf Mitgliedern des Stadtrats, vorgestellt und anschließend vom Kulturausschuss beschlossen.

LSM: Wie sieht normalerweise so ein Aufenthalt aus?

Rohmer: Der in der Regel zwei bis dreimonatige Aufenthalt kann sich je nach Künstler*in und Münchner Partner*in sehr unterschiedlich gestalten, da wir „arbeitsteilig“ vorgehen und die Partner eine wichtige Rolle bei der Vernetzung der Gäste in die Münchner Kunstlandschaft spielen. Zudem haben auch die Gastkünstler*innen selbst unterschiedliche Bedürfnisse. Manche nutzen die Ruhe am Starnberger See zur konzentrierten Arbeit am Ort selbst, während andere fast jeden Tag in die Stadt pendeln. Mir ist es wichtig, dass unsere Gäste sowohl in München als auch in der Villa selbst präsent sind. Über unsere Arbeitsräume, die offenen Abende, open studios oder öffentliche Sonderveranstaltungen in der Villa möchten wir zum Einen die wunderbaren Räumlichkeiten in der Villa so nutzen, wie sie es verdienen, und gleichzeitig den Austausch mit der Nachbarschaft und der Öffentlichkeit vor Ort pflegen. Damit verhindern wir auch, dass die Villa auf die Funktion als Gästehaus reduziert wird, was der Idee eines Residenzprogramms widerspräche.

LSM: Arbeiten die Stipendiatinnen und Stipendiaten an Projekten, die sie mitgebracht haben oder entwickeln sie Neues?

Rohmer: Beides. Das Eine schließt das Andere nicht aus. Man sollte den Gastkünstler*innen größtmögliche Freiheit lassen. Allerdings ist eine Auseinandersetzung mit dem Ort selbst, den Gegebenheiten und den Menschen hier wünschenswert – eine Residency findet ja nicht im luftleeren Raum statt und sollte nicht beliebig mit anderen Orten in der Welt austauschbar sein. Eine Residency anzunehmen und dabei nur ein vorab festgelegtes Pensum abzuarbeiten, erscheint mir weniger interessant. Für mich ist eine Residency ein eigenes, ganz besonderes Instrument der Künstlerförderung, eher prozesshaft und experimentell als produktorientiert. Vieles passiert auch subtil. Eine indische Schriftstellerin kam mit Plänen für einen Roman, den sie dann in der Villa auch schrieb. Auch wenn der Roman in Indien spielt und indische Sujets behandelt: Sie betonte mehrfach, wie sehr der Aufenthalt am Starnberger See, untrennbar verbunden mit den entsprechenden Stimmungen und Sinneswahrnehmungen, ihr Schreiben beeinflusst hat, auch wenn es sich dem Leser später vielleicht nicht auf den ersten Blick erschließt. Der Roman wäre sicher anders geworden, wenn er anderswo geschrieben worden wäre.

LSM: Manchmal hört man, dass mit der Annahme eines Stipendiums auch Verpflichtungen einhergehen. Veranstaltungen kreieren, Interviews geben, an Veranstaltungen teilnehmen, Schulen besuchen etc. , wie läuft das in München?

Rohmer: Von unserer Seite aus versuchen wir eher Angebote zu machen als unsere Gäste zu etwas zu verpflichten. Verpflichtungen ergeben sich teils von Seiten unserer Partner in München, die Projekte mit unseren Gästen realisieren, für die sie zusätzliche Projektförderung erhalten. Bei der Auswahl unserer Münchner Projektpartner*innen versuchen wir daher auf Ausgewogenheit zu achten, was das Verhältnis zwischen Planung / Pflichtteilen und Ergebnisoffenheit / Möglichkeiten betrifft. Wir wünschen uns sowohl von unseren lokalen Partner*innen als auch von unseren Gastkünstler*innen die Teilnahme an den oben genannten Veranstaltungsformaten in der Villa, überlassen den Gästen jedoch, in welcher Weise sie sich präsentieren möchten. Wie gesagt: Angebote statt Auflagen. Die meisten Künstler*innen möchten sich präsentieren und freuen sich über die Gestaltungsfreiheit, die sie bei uns bekommen. Manchmal treten sie auch ihrerseits mit konkreten Wünschen an uns heran, die wir natürlich zu erfüllen versuchen.

LSM: Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die momentane Situation und die weitere Planung aus? Sind Stipendiatinnen und Stipendiaten hier „gestrandet“?

Rohmer: „Gestrandet“ ist (noch) niemand. Derzeit sind in der Villa zwei Künstler und eine Künstlerin aus Kirgistan zu Gast sowie ein Künstler und eine Künstlerin aus Berlin. Wir verlängern den Aufenthalt der Kirgisen um einen Monat bis Ende Mai, da wir bereits Absagen für Mai haben, und da der Rückflug der Kirgisen wegen Corona verschoben wird. Auch aus künstlerischer Sicht ist die Verlängerung sinnvoll, da sie intensiv arbeiten und so vielleicht noch die Möglichkeit haben, Ende Mai etwas zu zeigen. Die geplanten Veranstaltungen versuchen wir in jedem Fall nachzuholen, vor allem die beiden Ausstellungen im Kulturzentrum Einstein sowie im Palmenhaus der Villa Waldberta. Corona hat natürlich noch weitere Auswirkungen auf unsere Planungen. So verschieben wir einige der für 2020 geplanten Residencies auf das nächste Jahr. Das ist zwar schade, aber anders als andere haben wir wenigstens keine finanziellen Einbußen.

Die Fragen stellte Bernd Zabel