Von Annette Katharina Müller

Irgendetwas schien sich geregt zu haben. Nur was? Ich blinzelte, öffnete die Augen und sah direkt in die grelle Sonne. Langsam setzte ich mich auf. Meine Freundin, die direkt neben mir auf ihrem Handtuch lag, atmete ruhig und gleichmäßig. Aber irgendetwas regte sich noch immer. Es war August und sehr heiß. Ein brütende Hitze, die uns sofort wieder umschlungen hatte, als wir vorhin aus dem Meer kamen. Mir kam es jetzt vor, als vibrierte der Sand unter mir. Am Horizont war ein schwefelgelber Streifen, darüber eine fast schwarze Wolkenschicht, die sich unaufhaltsam nach oben schob. Die Wellen waren höher geworden und donnerten an den Strand. Ich sah, wie der Bademeister die rote Flagge hisste.

Rote Fahnen nun auch vorne am Meer, da wo der Sand fester ist. „Ho! Ho! Ho Chi Minh“ und „Brüder zur Sonne, zur Freiheit“ und „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht“ und „Che Che Guevara“ und Dany le Rouge. Sie zogen von links nach rechts. Ich konnte weder den Anfang, noch das Ende des Zugs sehen.

„Wach auf! Schau mal!“ Ich stupste meine Freundin an. Sie stöhnte, drehte sich auf den Rücken und öffnete die Augen.

Als ich mich wieder zum Meer wandte, war von den roten Fahnen nichts mehr zu sehen. Auch der Sand vibrierte nicht mehr. Ich überlegte, ob ich meiner Freundin davon erzählen sollte, ließ es dann aber sein. Zum Teufel mit den roten Fahnen!

„Lass uns gehen,“ sagte ich und stand auf.

„Wir nehmen den anderen Weg.“, sagte sie. Ich nickte.

Der Weg hatte den Nachteil, dass wir über einen meterbreiten Streifen angeschwemmten Tangs waten mussten. Er stank nach Fäulnis und wir scheuchten eine Wolke winziger Fliegen auf. Wir rannten, aber die Fliegen blieben an unseren Beinen kleben. Bei meiner Freundin sah das aus, wie  unzählige kleine Sommersprossen.

Der Sand war heiß und obwohl wir uns anstrengten, schnell zu laufen, brannten meine Füße. Erst auf dem Bohlenweg aufwärts in die Dünen wurde es besser. Aber die Hitze war hier noch drückender. Dann ging es abwärts und wenig später begann der Weg aus festgestampfter Erde. Ein Auto fuhr vorbei. Wir blieben kurz stehen, bis sich die Staubwolke gesenkt hatte. Mein Mund war nun wie ausgetrocknet. Diese Hitze! Wir trotteten weiter.

„Schau mal!“ Ich hatte die sieben Ponys entdeckt, die gesattelt und aufgezäumt an einem Lattenzaun festgebunden waren. Sie ließen die Köpfe hängen und schlugen mit dem Schweif, um Fliegen und Bremsen zu verscheuchen.

„Warte mal kurz!“, sagte ich und ging zu dem dunkelbraunen Pony, das am Ende der Reihe stand. Ich strich über seine Nüstern und spürte den heißen Atem.

„Du bist so hübsch.“, flüsterte ich ihm zu. Dann fiel mir ein, dass wir in Frankreich waren und ich sagte: „Que tu es belle!“ Es nickte kaum merklich.

„Pass auf, die beißen!“, rief meine Freundin aus sicherer Entfernung.

„Quatsch!“

Erst jetzt sah ich den jungen Mann auf dem Campingstuhl. Er fixierte mich, zog den Zahnstocher aus dem Mund, auf dem er herumgekaut hatte, und spuckte aus.

„Hast du Geld?“ Er zeigte auf das Holzschild, das an einem Pfosten zwischen den Ponys hing. „Une heure – 10 Francs“.

„Ich streichle es doch nur.“

„Deshalb sitze ich hier rum, hä? – Putin!“ Seine Miene war finster.

„Komm, lass uns gehen!“, rief meine Freundin.

„Hast du wenigstens eine Zigarette? Ach, was frag ich … putain!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann stand er auf und  kam auf mich zu.

Ich wich einen Schritt zurück und suchte mit den Augen nach meiner Freundin. Sie war weg.

„Kein Geld?“ flüsterte er und seine Stimme war heiser. „Wir können das auch anders regeln.“ Auf seinem Oberkörper glänzte Schweiß und so aus der Nähe sahen seine Augen aus, wie die einer Eidechse. Ein wimpernloses Starren.

Von Fern war ein Donnern zu hören. Dicke Tropfen klatschten mir auf Kopf und Arme.

Die Eidechse war nun so nah, dass ich sie riechen konnte. Sie stank säuerlich. Ich sah, wie sie eine Hand hob, um mein Handgelenk zu packen. Doch noch ehe sie die Bewegung zu Ende führen konnte, begann sie zu zittern. Das Zittern wurde immer stärker. Mit Verwunderung sah ich, wie die Eidechse zu schrumpfen begann. Bald reichte sie mir nur noch bis zum Knie. Dann saß sie vor mir im Sand, bog den Kopf zurück und blickte mit starren Augen zu mir hoch. Ich ging in die Hocke, um sie mir genauer anzusehen.

„Eichdechslein“, neckte ich sie.

„Bah!“ Sie spuckte in meine Richtung, traf mich aber nicht. Dann schlug sie mit dem Schwanz, dass der Sand aufspritzte und flitzte davon.

„Nun geh doch!“, rief eine Stimme in meinem Kopf. „Schnell! Lauf!“

Aber ich bekam meine Hand nicht los. Ich drehte und drehte sie. Ein gellender Schmerz fuhr in mein Handgelenk.

Ich ekelte mich vor dem klebrigen Körper, der sich jetzt gegen meinen presste. Vor dem heißen Atem, der ganz nah war. Aber ich kam nicht los…

Da trat ich und trat und wand mich und endlich war ich frei und rannte und rannte und rannte und der Regen prasselte los und Blitze zuckten über mir und Donnerschläge krachten.