Am Anfang des sechsten Gedichtbandes von Veronique Dehimi steht als Motto ein Zitat Paul Celans: „Wer auf dem Kopf geht, der hat den Himmel als Abgrund unter sich“. Dieses Bild einer auf dem Kopf stehenden Welt wird in einigen Gedichten direkt fortgeführt. Dabei ist die bilderreiche Sprache des lyrischen Ichs Dehimis keine, die mithilfe von Metaphern Lebensbereiche miteinander verbindet. Wie bei einem Kind in der animistischen Entwicklungsphase ist die Welt der Bilder und Personifikationen einfach vorhanden.

Veronique Dehimis Buch „Wo die Schatten der Fische ins Nachtblaue tauchen“ beginnt mit einem dreiseitigen Gedicht – „Verratener Frühling 2020“ –, das allerdings das einzige Zugeständnis ans Langgedicht ist. Die lyrischen Gebilde der in fünf große Zyklen unterteilten Gedichtsammlung werden gegen Schluss kürzer und kürzer und überdies poetologischer.

Ausdrucksstärker sind jedoch jene Gedichte, die die Natur im Angesicht ihres Untergangs beschwören.

Der „Zuspruch“ der Natur, den man in Klassikern der modernen Lyrik, etwa in Dylan Thomas’ Langgedicht „Fern Hill“ findet, wird bei Dehimi jedoch nicht als „Begrüßungsgeld“ aufgefasst, das der Mensch bei seinem Erscheinen als Kind von der Natur erhält, sondern eher als das Motto: „Rette dich, indem du die Natur rettest“.

Neben erotischen Gedichten, in denen Beziehungen ausgelotet werden, finden sich auch Abschnitte, in denen nichts über das lyrische Ich, den Geliebten und die seelischen Zustände gesagt werden.

Oft entdeckt man zwischen Gedichten, die auf einander gegenüberliegenden Seiten stehen, Analogien und Kontraste. Dadurch gewinnt die Lektüre des Buches etwas Stehendes: Man betrachtet eine solche Doppelseite wie die Muster zweier Schmetterlingsflügel; man achtet auf kleinste Abweichungen.

Hans-Karl Fischer