Das neue Buch von Timo Feldhaus spiegelt die gesellschaftlichen Zustände am Ende der Napoleonischen Zeit.

Von Stefanie Bürgers

1816 in Europa, ein Jahr ohne Sommer. Das Jahr zuvor war auf einer der Inseln Indonesiens ein Vulkan ausgebrochen und das wirkte weltweit nach. Im Sommer fällt Schnee. Die Tage bleiben dunkel. Die Ernte fällt aus. Hungersnöte sind die Folge. In dieser Zeit sucht Mary Godwin – nach der Heirat wird aus ihr Mary Shelley werden – ihren Weg, beladen mit dem fordernden Vermächtnis der Mutter, einer überzeugten Feministin. Sie liebt, wird schwanger, heiratet nicht, schließt sich der Entourage um den dandyhaften und egozentrischen englischen Dichter Lord Byron an. Den eiskalten Sommer verbringt die Gruppe in einer Villa am Genfer See, lebt „vegetarisch, cosmopolitisch, gar nicht monogam“ und weckt bei der Bevölkerung Neugier und Ablehnung zugleich. Mary bleibt indifferent, unsicher, bis Byron einen Schreibwettstreit für die beste Gespenstergeschichte ausruft. Das wird die Geburtsstunde Mary Shelleys Romangestalt „Frankenstein“ werden, einem Prometheus, der Leben kreiert, das durchaus einen eigenen Willen hat. Durchs Schreiben gelingt es Mary, sich vom begrenzenden Vermächtnis der Mutter zu befreien und sie selbst zu werden.

Die vielschichtige Rahmenerzählung bestückt der Autor geschickt mit humorvollen Episoden aus dem Leben prägender Zeitgenossen der Epoche darunter große Namen wie Caspar David Friedrich, der die vom Vulkanstaub rot glühenden Sonnenuntergänge malte, Johann Wolfgang von Goethe, der die Wolkenwissenschaft entdeckte, oder Viktor Hugo, der Napoleons Niederlage in Waterloo kurzerhand dem schlechten Wetter zugeschrieben hat, da ohne den Regen die Geschichte seiner Ansicht nach anders ausgegangen wäre.

Vor dem historischen Hintergrund der knapp 30 Jahre zurückliegenden Französischen Revolution und der beginnenden industriellen Revolution mit erneuter Ausbeutung und Armut gelingt Feldhaus ein spannendes und anschauliches Kaleidoskop der Zeit in Europa nach dem Wiener Kongress.

Das Buch hat einen starken Anklang an den Bauplan von „1913“ von Florian Illies aber eben auch ein Format, das durch die erhellenden Querverbindungen gefällt. Nicht ohne Grund werden Lehrpläne in den Schulen fächerübergreifend konzertiert. Erfrischend ist die Sprache, die sich heutiger Idiome bedient und dadurch den nonkonformistischen und provozierenden Lebensstil der Gruppe um Mary unterstreicht.

Timo Feldhaus:
Mary Shelleys Zimmer
320 Seiten, gebunden
Rowohlt, Hamburg 2022
26 Euro