Poesie gegen Twitter und Facebook
Das Lust auf Lyrik-Projekt der Stiftung Lyrik Kabinett

Sie denken und dichten, reimen und rappen, sinnen und sagen – nein, Richard Wagner lässt nicht grüßen, es sind Schülerinnen und Schüler, die mit der Sprache spielen, Laute zu Klängen formen, mit Wörtern Bilder malen. Kurzum, Lust haben auf Lyrik. Der Stiftung Lyrik Kabinett ist das mit ihrem Modellprojekt gelungen. Etliche Hürden mussten dafür genommen werden: Schulen und Lehrer gewinnen, Dichter für die Arbeit mit Jugendlichen begeistern, und nicht zuletzt Kids zu lyrischen Leistungen beflügeln. Seit 2005 läuft das Projekt, mit bislang achtzehn „Durchläufen“ kann es sich eines stetigen Erfolgs erfreuen. Im Mai ist es wieder so weit. Dann treten die 6a der Wilhelm-Busch-Realschule sowie die 9a des Werner-von-Siemens-Gymnasiums vor ihr Publikum und präsentieren ihre Werke.

„Dabei ist es gar nicht so sehr das Ergebnis, auf das es ankommt“, sagt Dr. Pia-Elisabeth Leuschner, die Organisatorin und Seele des Ganzen. „Es ist der Weg dorthin, das Procedere, das Spiel mit den Möglichkeiten.“ Hartnäckig hat sie an der Idee fest gehalten, dass Sprache zu mehr als für Twitter und Facebook taugt. Dass sich durch das Schreiben von Gedichten der eigene Standpunkt innerhalb der Gesellschaft erschließt. Dass Lyrik zu Leuten gebracht wird, die damit selten in Berührung kommen. In den Anfangsjahren hatte man mit Schulen in und um München gearbeitet, Augsburg etwa, Neufahrn und Landshut, seit 2013 konzentriert sich der Schwerpunkt auf die beiden oben genannten in Neuperlach. Besonders eingesetzt für dieses strukturschwache Viertel hat sich das lokale Bildungsmanagement, neben Kulturreferat und Wissenschaftsministerium ein rühriger Förderer des Projekts. Immerhin sind es heuer vier Durchläufe, zu den zwei Schulen gesellt sich noch der Sammelkurs Q11, der türkisch-deutsche Jugendliche der elften Jahrgangsstufe aus mehreren Münchner Gymnasien vereint. Neu im Angebot ist ein zweitägiges Lyrik-Camp für SchülerInnen zwischen 13 und 16 Jahren auf Burg Schwaneck. In so einem Umfeld, glauben die Veranstalter, lässt es sich besonders intensiv in die Welt der Poesie eintauchen.

Durch die Fokussierung auf die beiden Neuperlacher Schulen muss keine Überzeugungsarbeit mehr geleistet werden, sind im Gegenteil alle sehr aufgeschlossen. Die Direktoren, die Deutschlehrer und die Schüler. Und natürlich die
LyrikerInnen, die neben ihrem Können, ihrem Know how, ihrer Energie vor allem pädagogische Begabung mitbringen müssen. Zum festen Bestand gehören Andrea Heuser, Karin Fellner, Gerald Fiebig, Axel Sanjosé und Pierre Jarawan. In diesem Jahr zum ersten Mal dabei ist Birgit Müller-Wieland, die jedoch aus „einem früheren Leben“ Erfahrungen mit Schreibwerkstätten für Kinder und Jugendliche mitbringt. Die vielseitige Schriftstellerin – sie schreibt Romane,
Gedichte, Hörspiele, Libretti und vieles mehr – äußert sich enthusiastisch über ihre Klasse, die 9a des Werner-von-
Siemens-Gymnasiums. Sie und ihr Partner, der deutsch-katalanische Lyriker Àxel Sanjosé, haben sie sich geteilt. „Das erlaubt uns, mit unterschiedlichen Herangehensweisen zu operieren, er wahrscheinlich eher ruhig, ich emotionaler. Am Anfang steht die Frage, was alles mit Lyrik zu tun hat, welche Bandbreite sie erreichen kann, was für Stimmungen sie erzeugt. Braucht es einen Reim, reicht der Rhythmus, eine Form. Dafür sehr geeignet ist der Haiku, die Beschränkung auf fünf, sieben, fünf Silben. Einfach sagen, nun fangt mal an, geht natürlich nicht. Ich muss Impulse geben, zum Beispiel mit Gegenständen, und es überrascht mich immer wieder, was den Mädchen zu einer Brille etwa oder einer Froschkönig-Figur alles einfällt.“ Es ist eben die Lust auf Lyrik, die sie beflügelt.
Katrina Behrend Lesch

Ausführliche Informationen unter lyrik-kabinett.de –> Lust auf Lyrik. Abschlusstermine: 6. Mai 19 Uhr Kulturhaus Neuperlach, Hanns-Seidel-Platz 1; 20. Mai 19 Uhr PEPPER –Theater im Keller, Thomas-Dehler-Str. 12