Deutsche Geschichte von 1944 bis 1970, in 187 Kapiteln, auf 655 Seiten – das bietet „Königreich der Dämmerung“, der neue Roman von Steven Uhly. Der Münchner Schriftsteller mit deutsch-bengalischen Wurzeln wurde 2011 für sein Werk „Adams Fuge“ mit dem Tukan-Preis der Landshauptstadt ausgezeichnet. Uhlys Bestseller „Glückskind“ war gerade erst in der ARD in einer Verfilmung von Michael Verhoeven zu sehen.

Steven Uhly, 1964 in Köln geboren, will mit „Königreich der Dämmerung“ Zeitgeschichte aufblättern: die letzten Kriegsmonate 1944/45 in dem von den Nazis so genannten Warthegau (Polen), die Flucht der Deutschen vor der Roten Armee, das Herumirren der den Holocaust überlebenden Juden, deren Strandung in den Lagern für „Displaced Persons“ (DP) in Deutschland, die Auswanderung nach Palästina bzw. nach Israel. Für diese Zeitgeschichte hat sich Uhly drei Haupt-Handlungsstränge ausgedacht. So schildert er den Weg von SS-Obersturmbannführer Josef Ranzner, der ein polnisches Städtchen „judenfrei“ macht und später beim BND unterschlüpfen kann. Uhlys zweite Protagonistin ist die Jüdin Anna, die Zwangs-Arbeiterin und Zwangs-Geliebte von Ranzner, die später einen jüdischen Flüchtlingsaktivisten heiratet. Und es gibt die Familie Kramer, eine von Rumänien nach Polen umgesiedelte volksdeutsche Bauernfamilie, die eine schwangere Jüdin versteckt, deren Tochter die Flucht überlebt und nach Israel auswandert. Alle drei Handlungsstränge werden miteinander verwoben, werden aufgefächert auf Dutzende von Nebenkriegsschauplätzen mit noch mehr Nebenrollen – 187 Kapitel (bis hinein ins Rotlichtmilieu) wollen gefüllt sein.

Dabei ist es Uhly hoch anzurechnen, dass er etwa mit seiner Schilderung von DP-Lagern in der deutschen (nicht-wissenschaftlichen) Literatur Neuland betritt. Nur schwer nachvollziehbar ist bei dem Münchner Autor freilich dessen Unbekümmertheit: Schon sein Protagonisten-Tableau ist holzschnittartig, ja erinnert an eine klamottige US-Fernsehserie mit unendlich vielen verschachtelten Metaebenen. Damit nicht genug: Uhlys Sprache ist schlicht, ja anspruchslos – da wird durch den Schnee gestapft, durch zerstörte Städte gestolpert, werden Taschentücher aus der Schürze gezogen und Tränen weggewischt. Ein plakativer Stil, der sich bei empfindlichen Themen – und die gibt es in den unseligen Jahren 1944/45 zu Hauf – bislang verboten hat.
Ina Kuegler

Steven Uhly
Königreich der Dämmerung
Roman, Secession Verlag für Literatur
Zürich, 2014, 655 Seiten
29.95 Seiten