Die Fantasy-Welle bei Kinderbüchern ist vorbei. Die beste Leseförderung ist das Vorlesen.

Warum haben Tiger Streifen? Hatten Dinosaurier Ohren? Bei LeseLotte gibt’s die Antworten – im einzigen Münchner Kinderbuchladen. In der Mitte der Buchhandlung steht ein großer Tisch, mit Büchern über Tiger oder Dinos. Das ist was für Größere. Die jüngeren Kinder finden ihre Schätze gleich am Schaufenster: Dort gibt es knuddelige Stofftiere, Fühlbücher oder Pappdeckelbände wie „Ella entdeckt die Welt“. Auf der gegenüberliegenden Seite des Buchladens in der Reichenbachstraße 30 stehen die Jugendbücher. „Wir haben unsere Buchhandlung im Oktober 2015 eröffnet“, erzählt Christiane Jürging. Es ist der einzige Münchner Kinderbuchladen – der Vorgänger in der Blütenstraße hat schon vor Jahren aufgegeben.

Das mag überraschen angesichts der Tatsache, dass rund ein Sechstel des Umsatzes mit Büchern hierzulande mit Kinder- und Jugendbuchtiteln gemacht wird (17,5 Prozent). Pro Jahr erscheinen in Deutschland circa 8000 neue Bände für Kinder (bis 11 Jahre) – ihr Anteil am Gesamtumsatz von Kinder- und Jugendbüchern ist im Vorjahr sogar um gut zwei Prozent gestiegen. In den vergangenen zehn Jahren seien die Kinderbücher vielfältiger und phantasievoller geworden, sagt Jürging. Doch auch andere Trends sind bei der Literatur für die Jüngsten zu beobachten. So meint Ines Galling von der Internationalen Jugendbibliothek (Blutenburg): „Nach der Fantasy-Welle gibt es wieder mehr realistische Bücher.“

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bestätigt den Trend: 60 Titel der aktuellen und bereits gemeldeten Neuerscheinungen (2016) im Bereich Kinder- und Jugendbuch beschäftigen sich explizit mit den Themen Flucht, Toleranz und Integration. Christine Paxmann, Herausgeberin von „Eselsohr“, einem Münchner Fachmagazin für Kinder- und Jugendmedien, hat auf der Leipziger Buchmesse noch andere Tendenzen ausgemacht: „Viele Slapstickabenteuer. Viele Tollpatsche als Helden. Und viele tierische Protagonisten. Tatsächlich auch viel Patchwork-Setting, irgendwie neu gesampelte Familienverhältnisse. Aber auch viele Idyllen und heitere Gegenwelten.

Neue Themen – „alte Zutaten“? Was macht ein gutes Kinderbuch aus? Die Münchner Autorin Meike Haas meint: „Ich denke, dass sich das im Wesentlichen nicht von Erwachsenenliteratur unterscheidet.“ Ihr Kollege Matthias Morgenroth (beide schreiben u.a. für dtv-junior) ergänzt: „Ein gutes Kinderbuch soll ein Buch sein, dass nicht ,für’ Kinder geschrieben ist. Sondern in dem Kinder ihre Abenteuer erleben, in die sich dann diejenigen Kinder, die das Buch in der Hand halten oder vorgelesen bekommen, auch gerne begeben würden.“ Außerdem sollte es spannend, witzig und tiefsinnig oder auch traurig zugehen, am besten alles zugleich.

Soweit die beiden Praktiker – die Bibliothekslektorin Galling beschreibt ein vorbildliches Kinderbuch so: „In guten Kinderbüchern spielen ‚Was’ und ‚Wie’ zusammen. Gute Kinderbücher schaffen es, von wichtigen Fragen des Lebens in einer Form zu erzählen, die berührt, die fesselnd, spannend oder auch traurig ist, die neugierig und nachdenklich macht, die den Kopf fordert und Gefühle kitzelt. Gute Kinderbücher liefern nicht bloße Abbilder der Welt, sondern nutzen die literarischen Möglichkeiten zur Gestaltung ihrer eigenen Wirklichkeit.“ Wobei das nun wiederum auch alles Kriterien für gute Erwachsenen-Literatur wären …

Lesende Eltern sowie Bücher schenkende Tanten und Omas sind denn auch die beste Leseförderung für Kinder – da sind sich die Fachleute einig. Bücher gehören dann einfach zum Leben dazu. Matthias Morgenroth, Vater von drei Kindern, hat noch einen Rat: „Die beste Leseförderung ist Vorlesen. Gemeinsam Geschichten ausdenken. Wenn in einer Familie klar ist: Geschichten sind so wichtig wie das täglich Brot, mit ihnen können wir gemeinsam Spaß haben, übers Leben nachdenken, uns gruseln, Langeweile überwinden.“ Die Familie ist also wichtig, wobei sich – so Ines Galling – auch die Kitas und Kindergärten engagieren sollten, um die Leselust der Kinder zu wecken.

Um Aufmerksamkeit werben freilich auch ganz andere, neue Phänomene: So gibt es etwa „Antolin“, ein Programm zur Leseförderung in Schulen. Dabei soll die Anziehungskraft des Computers auf Kinder genutzt werden, um diese fürs Lesen zu gewinnen. Durch die Beantwortung von Quizfragen in den gelesenen Büchern können Schüler via Internet Punkte sammeln. Die Lehrer verfolgen mit statistischen Auswertungen die Leseaktivität. Nicht nur für Bücher, sondern für eine süßlich-rosa kitschige Waren-Palette wirbt Prinzessin Lillifee, die literarische Figur einer Kinderbuchreihe, die vom allumfassenden Merchandising des Coppenrath-Verlags begleitet wird. Seit 2004 sind zehn Bände erschienen, die Liste der Übersetzungen ist groß, die Kritik an Lillifee ebenfalls: Kritiker sprechen von femininen Stereotypen. Meike Haas meint dazu: „Kleine Mädchen sollten nicht ganz so auf die rosa Glitzerwelt getrimmt werden.“

Wirklich lesenswerte Kinderbücher kann man unter anderem der Vorschlagsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 entnehmen. Unter den nominierten Bänden finden sich Titel wie „Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her“ (von Sabine Willharm illustriert) oder „Mein Sommer mit Mucks“ (von Stefanie Höfler). Auch Jugendliche können ein Buch zum Jugendliteraturpreis vorschlagen – zur bundesweiten Jury zählen unter anderen die Münchner Bücherfresser der Buchhandlung „Buchpalast“. Auf der Leipziger Buchmesse 2016 nominierten sie „Sommer unter schwarzen Flügeln“ von Peer Martin. Die Bücherfresser treffen sich übrigens fast jeden Montag: Im Laufe eines Jahres werden 250 Neuerscheinungen gelesen – und jede Menge Gummibärchen vertilgt.
Ina Kuegler