Das wäre wieder so eine Überschrift, so ein Buchtitel, an denen man vor der Auslage unwillkürlich stehen bleibt und hineingeht um zu kaufen bzw. zu lesen, muss man haben, will man wissen – oder? Beispiele für wesentlich raffiniertere Titel gibt es viele, oft stammen sie vom Verleger selbst, wie etwa „Das Herz ist ein einsamer Jäger“. Und sie haben kaum noch etwas mit dem Inhalt zwischen den Buchdeckeln zu tun. Oder sie sind zu Alltagswendungen geworden wie „Im Westen nichts Neues“, „Wer einmal aus dem Blechnapf frißt“ oder „Vom Winde verweht“ – auch wer das nicht alles gelesen hat, kann es verwenden nach Belieben. Da loben wir uns doch seriöse Titel, die sich dennoch verkaufen, wie etwa „Das war mein Leben“, Ferdinand Sauerbruch, Berlin 1950.

Apropos, der mährische Landarzt Dr. Siegfried Löwy hat weder einen Roman hinterlassen noch eine Biografie, aber immerhin einen Alptraum, den er mit seinen ärztlichen Erlebnisberichten offenbar in seinem Neffen auslöste, der ihn vor hundert Jahren zu Papier brachte, in seiner kreativen Phase zwischen zwei verzweifelten Verlobungen mit Felice Bauer, bevor er im August 1917 einen Blutsturz erlitt und schwer und endgültig erkrankte. Nackt fährt „ein Landarzt“ in der gleichnamigen Erzählung , „mit irdischem Wagen, unirdischen Pferden“ vom nächtlichen Dienst nach Hause, und Kafka, so übrigens der Name des Autors, der diese Story ganz eng am Zügel des Surrealen führt, denkt nicht im Traum daran, die den Leser lockende, schockende Nacktheit in den Titel einzuweben.

Der Landarzt heute, um das ganz trocken bei Licht zu betrachten, wird in wenigen Jahren zu 50 bis 60 % von der Landärztin abgelöst werden. Schon allein diese Tatsache würde die ganze Geschichte für Franz K. obsolet gemacht haben. Sie, die Landärztin, wird sich, so sieht das ein vor kurzem entworfener „Masterplan 2020“ unserer Politiker vor, schon bei Beginn des Studiums verpflichtet haben, nach Abschluss mindestens zehn Jahre aufs Land zu gehen oder aber die Kassenärztlichen Vereinigungen werden sie mit zusätzlichen Honoraren im oberen fünfstelligen Bereich hinaus auf die Felder in die finsteren Wälder oder Berge gelockt haben. Und man muss sie locken, denn freiwillig will keine(r) mehr dorthin – als hätten die Mediziner alle Kafkas Schreckensgeschichte gelesen! – So schön das auch wäre, tatsächlich liegt es wohl an der angeblich fehlenden „Work-Life-Balance“ des Landlebens, ein Thema, das unseren heutigen Rahmen ein wenig sprengt.

Und Balance hin, Life her – ungemütlich kann’s schon mal werden, wenn es – wie vor 100 Jahren – nächtlichen Alarm gibt, und es wird ihr nichts helfen, die Landärztin muss hinaus ins Schneegestöber und Kafkas rhythmisch – drohende Worte werden, hat sie diese je gelesen, ihr in den Ohren klingen: „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt – es ist niemals gutzumachen“.
WH.