Die Unangepasste
Franziska zu Reventlow und München

Von Katrina Behrend Lesch

„… frei bin ich, frei bin ich, frei – frei!“ Viele solcher „Aufschreie“ notierte Franziska zu Reventlow in ihren Tagebüchern, wie um sich selbst zu bestätigen, was für sie im Leben allein zählte. Einem Freund schrieb die Neunzehnjährige „ … es liegt nun einmal tief in meiner Natur, dieses maßlose Streben, Sehnen nach Freiheit …“ Hineingeboren in ein adliges Milieu und in die restriktive Gesellschaft des zweiten Kaiserreichs, dessen Dauer ihren eigenen Lebensdaten entspricht – 1871 bis 1918 – rebellierte Franziska, die eigentlich Fanny hieß, zeit ihres Lebens gegen deren Regeln und Konventionen. Ob sich München, ihr langjähriger Lebensmittelpunkt, wegen dieser so leidenschaftlich eingeforderten Freizügigkeit mit ihrem Andenken schwer tut mag dahin gestellt sein. Eine einzige Bronzetafel erinnert an sie, fast unsichtbar seitlich an dem Gebäude Leopoldstr. 41 angebracht, das die typische Fassade einer heutigen Großstadtmeile aufweist: Ein Supermarkt, ein Klamottenladen. In diesem Haus über dem Café Noris von einst wohnte die Schriftstellerin Franziska von Reventlow *1871 1918 † lautet die lapidare Inschrift. Sie verrät nichts über die Persönlichkeit, die wegen ihres berühmt-berüchtigten Lebensstils in den Schwabinger Künstlerkreisen als „heidnische Madonna“ bezeichnet wurde.

Schon in ihrer Kindheit, die Fanny zusammen mit vier Geschwistern in dem Stammschloss der zu Reventlow in Husum zubrachte, wollte sie sich niemandem unterwerfen und beschreibt in dem stark autobiografisch gefärbten Roman „Ellen Olestjerne“ ihr alter ego: „Sie war ein etwas scheues, trotziges Kind, an dem niemand besondere Freude hatte … Eigentlich war sie überflüssig …“ War es auch dieses Gefühl des Überflüssig-seins, das sie zu immer neuen Ortswechseln veranlasste? Sie galt als „ begabte Reisende“, aber sobald das Fernweh sie forttrieb, wurde sie auch immer wieder von Heimweh erfasst – Heimweh nach München. Hierher war sie 1893 gezogen, um Malerin zu werden. Dabei plagten sie durchaus Zweifel. „Ich weiß, dass ich nicht viel Talent habe, aber ich habe eine brennende Sehnsucht, dieses Wenige auszubilden.“ In der Malerei sah sie den einzig möglichen Weg, sich künstlerisch zu verwirklichen, während sie ihrer eigentlichen Begabung, dem Schreiben, wenig Beachtung schenkte. Indes war es die Literatur, Romane, Skizzen, Essays, die nicht nur zu ihrem Unterhalt beitrugen, sondern auch für den Nachruhm sorgten, den sie als Malerin nie erlangt hätte.

Für das Dasein als Lebenskünstlerin, Adlige und Nonkonformistin zahlte Fanny einen hohen Preis. In den 17 Jahren, die sie in München verbrachte, zog sie „26 Mal um, meist unfreiwillig, vertrieben von Eigentümern, die es leid waren, sich von ihrer zahlungsunfähigen Mieterin einen weiteren Monat vertrösten zu lassen“. So ließen sich wohl an wenigstens 20 weiteren Gebäuden in der Umgebung Plaketten anbringen, darunter das Haus Kaulbachstr. 63, wo Fanny mit ihrem unehelichen Sohn Rolf, genannt „das Göttertier“, von 1903 bis 1906 in einer ménage à trois lebte. Mitbewohner dieser ersten WG waren der Schriftsteller Franz Hessel und ihr Geliebter Bohdan von Suchocki. Er gehörte der Gruppe der „polnischen Münchner“ an, die nach 1863, dem Aufstandsjahr gegen den Zaren, in Scharen nach München gekommen waren und Fanny beeindruckten, vor allem, wenn sie über Kunst sprachen, „sie sind alle wie toll, wenn sie davon anfangen.“ Von dem einfachen Haus, dessen unkonventionelle Bewohner erst in den Kommunarden der 1960er Jahre Nachahmer fanden, gibt es heute keine Spur mehr. Als sich die Wohngemeinschaft auflöste, übersiedelte Fanny 1910 in die Schweiz, ging eine Scheinehe ein, die ihr aber nicht die erhoffte finanzielle Sicherheit verlieh, und starb 1918 in Locarno an den Folgen eines Fahrradunfalls.

P.S. In einer Serie stellen die „LiteraturSeiten München“ Dichter-Denkmäler in der Landeshauptstadt vor. Bislang waren es die von Kurt Eisner, Heinrich Heine, J.W. Goethe, Lion Feuchtwanger, Frank Wedekind, Clemens Brentano und Annette Kolb.