Gewinner
Der Haidhauser Werkstattpreis, dessen Vergabe heuer zum 25. Mal stattfand, hat einen eindeutigen Gewinner. Es ist Wolfram Hirche, dessen satirisch zugespitzte Kurzgeschichte „Osama Ostmond“ den anwesenden Zuhörern unter den Texten der elf Kombattanten, wie sich Moderator Rainer Kegel vom Münchner Literaturbüro ausdrückte, am besten gefiel. Leicht gekürzt ist sie hier abgedruckt. Hirche schreibt in den LiteraturSeiten München regelmäßig die Kolumne und nimmt darin den Literaturbetrieb hintersinnig und ironisch aufs Korn. Wir gratulieren ihm. red.
Kurzgeschichte: Osama Ostmond
Von Wolfram Hirche
Osama gleitet pünktlich aus dem Untergrund die Rolltreppe hinauf zur Mariensäule ins Freie, in der Linken einen Metallkoffer, und raunt mir sofort ins Ohr, dass er geradewegs aus seinem Versteck in „München-Westkreuz“ komme und keineswegs aus den Höhlen von Tora Bora. Westkreuz, Hochhaus, neunter Stock, das kann man nicht erfinden, das macht ihn sofort authentisch.
Wir sind zu einem Interview verabredet. Casting, wenn man so will, für meine Talkshow „Cool nach neun“. Haben lange nach Außenseitern gesucht, Politikern, Killern, Terroristen, wurde höchste Zeit! Bezahlen nicht schlecht! Pauschal, bar, das mögen diese Leute. Osama hatte angerufen, und wir fixierten das Vorgespräch auf 14 Uhr. Er habe, sagt er gleich, für unsere Show eine kleine explosive Surprise. Sein Akzent ist charmant, eine Spur französisch.
Zunächst nur Privates, Smalltalk. Immer wenn die Presse ihn in Pakistan vermute, stecke er in Wirklichkeit in seinem Einzimmerappartement in München-Westkreuz, ein besseres Versteck sei gar nicht denkbar. Er genieße die Sicherheit dieser Stadt, den felsgrauen Teppichboden, das moosgrün gekachelte Bad und den Regen, der bei offener Balkontür ins Zimmer peitscht nach der extremen Hitze. Vor allem aber diese niedrige Kriminalitätsrate hier, sehr erholsam!
Osama sieht frisch aus und friedlich, was auch Bedingung für unseren Talk ist. Kalaschnikow-Face kommt nicht in Frage. Der sonst von scharfen Befehlen so schmale Mund wirkt entspannt und formuliert lustvoll Sätze wie „Westkreuz ist Einsamkeit, Weite, Anonymität und Frieden. Alles, was ein Krieger braucht.“ Einen Fernseher, sonst habe er nichts im Zimmer.
„Wir werden“ flüstert der al-Kaida-Chef und sieht sich gehetzt um „dies alles hier übernehmen – vielleicht schon morgen“, und ich spüre plötzlich ein ungesundes Vibrato in seinem rechten
Auge. Wie alte Freunde schlendern wir dann nebeneinander durch den Lebensmittelmarkt eines Kaufhauses zu Füßen der Heiligen Maria, und Osama, glattrasiert und mit Baseballkappe, schiebt locker den Drahtwagen, in dem er das blitzende Köfferchen deponiert hat. Er legt eine Dose Cola und drei Pack „West“ in den Wagen.
„Wir werden Westkreuz „Ostmond“ nennen, und es wird der östliche Vorort des neu erbauten München sein, das sich bis Augsburg erstrecken soll, während das korrupte katholische München, ruckzuck, wie ihr sagt “ – eine schneidende Geste mit der flachen Hand – „fini, leider, leider.“ Sein Gesicht schnurrt für einen Moment zu einem zerfurchten Knödel zusammen und eine Träne glitzert über seinem rechten Nasenflügel. „Es sei denn, mein Ultimatum wird erfüllt“ – „Ültimatüm“ sagt er, „erfühllt“ sagt er.
„Wo haben Sie das Ultimatum, Osama? Wie sieht es aus“
„Nennst du nie mehr meinen Namen“, sagt er ganz weich, fast zärtlich, leise
und brutal zu mir. „Ich habe sie hier drinnen“, schaut mich an, sein Blick flackert, Lagerfeuer, „La bombe, compris?“
Er zeigt auf den Koffer, den er zu Beginn unseres Gesprächs unauffällig unter seinen Stuhl gestellt hatte. Wir haben uns inzwischen an einen der gedeckten Ti-sche draußen vor dem Traditionslokal gesetzt. Osama hat offenbar eine Schwäche für Nürnberger mit Kraut und für Allah, dessen verlängerter Arm er sei.
„Apropos Arm“, sage ich, „was haben Sie eigentlich mit der Bombe vor, so ganz konkret?“ Osama lässt ein feines Lächeln sehen und flüstert „Plutonium.“ Pause. „Acht Kilogramm.“ Pause. „Reichen für ganz München. Nimm.“
Ich zögere. Er nimmt den Koffer und lässt ihn kurz und hart auf dem Boden
aufschlagen. Bleimantel, hoffe ich.
Zehn Zentimeter, denke ich, Schweißausbruch.
„Heute kein Zünder, harmlos, öffne ruhig, öffne ihn“, damit schiebt er mit einem Fuß das Köfferchen zu mir, unter meinen Stuhl. Es ist nicht zu hören, das berüchtigte Ticken des Zeitzünders.
Nur das Surren der Kameras japanischer Touristen, die das Rathaus belagern.
Natürlich öffne ich nicht.
„Behalte ihn für die Talkshow, Wolf. Ich habe genug davon. Wir wollen ja vor-erst nur München flach. München hat es verdient.“ Er lacht. Tadellose Zahnreihen.
„Was wäre die Alternative“ frage ich den Araber.
„Allah.“
„Konkret?“
„Allahu Akbar, an drei Tagen in den Abend-News werdet ihr jeweils ein großes Liebesgedicht von mir rezitieren und zu Allah beten – andernfalls“, wieder diese Geste mit der flachen Hand, waagrecht, „tout fini“.
„Osama der große Poet?“ flüstere ich und erschrecke – aber diesmal überhört er seine Namensnennung.
„Was sonst, mon cher – genau wie mein berühmter libyscher Freund Muhamad. Ich gebe dir diese Poèmes live auf Sendung, Wolf.“
„Also schön, mein Gott, ja, auch darüber lässt sich reden – um sieben im Sender. Bitte pünktlich – wegen der Maske!“
„Apropos Sender, wie viel Gage?“
„Zehn“, sage ich.
„Fünfzehn“, sagt er.
Ich nicke. Hatte schon härtere Gegner. „Fünf sofort, den Rest nach der Show.“
Ich schiebe die Scheine über den Tisch und sehe, dass der Kellner uns beobachtet, grinst. Osama nimmt das Geld, rollt es und steckt es in einen abgegriffenen Tabakbeutel, der um seinen Hals baumelt. Sorgfältig versiegelt er sein Gesicht mit einer fingerdicken Sonnenbrille, das Visier einer schweren Rüstung, die er herunterklappt, steht auf, geht grußlos und entgleitet auf der Rolltreppe meinen Augen.
„Alles zusammen?“ Mit kritischem Blick mustert der Kellner den Koffer unter meinem Stuhl. „Nicht echt“, sagt er, „übrigens, der Ali ist nicht echt. Wissen Sie, es ist nämlich so“, er setzt sich zu mir. „Der war vor zehn Tagen schon mal hier, mit einem vom ZDF.“
„Okay“, sage ich, „spielt doch keine Rolle. Die Nürnberger und das Bier. Und bitte: Mit Bewirtungsbeleg.“
(Leicht gekürzte Siegergeschichte beim 25. Haidhauser Werkstattpreis im Gasteig 2018)