Der Friedrich-Glauser-Preis 2018 geht an Jutta Profijt /
Aus der Arbeit eines Jury-Mitglieds

Von Antonie Magen

5. Mai 2018: Das neue Theater in Halle ist gut gefüllt. Ca. 500 Gäste haben sich zur Criminale 2018 versammelt, um der Verleihung des Friedrich-Glauser-Preises beizuwohnen. Er erinnert an den Schweizer Autor, der mit der Figur des Wachtmeisters Studer einen der ersten Serienhelden der deutschsprachigen Kriminalliteratur schuf. – Neben dem Deutschen Krimipreis ist der „Glauser“ der wohl wichtigste Preis für Kriminalliteratur im deutschsprachigen Raum. Vielleicht ist er sogar etwas begehrter, denn er wird vom „Syndikat“ vergeben, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur, und ist damit ein Preis von Autoren für Autoren. Im Gegensatz zum Deutschen Krimipreis ist er außerdem dotiert. – Kein Wunder, dass die Nominierten ein bisschen nervös auf den Ausgang des Abends warten.

Gekommen sind auch wir, die Mitglieder der Jury. Im letzten Jahr gehörte neben Volker Bleeck, Ulrike Dömkes, Toni Feller und Gabriella Wollenhaupt, vier erfahrenen Krimiautoren, auch ich zu dem Ausschuss, der den besten deutschsprachigen Krimi des Jahres 2017 küren durfte. Für uns ist die Feierstunde weniger mit Überraschungen verbunden. Im Gegensatz zu den Nominierten und den anderen Anwesenden sind wir die einzigen, die wissen, wer den Abend als Gewinner feiern darf. Für uns bedeutete der Festakt das Ende einer längeren Geschichte, die 16 Monate zuvor begann.

Im Februar 2017 erreichten uns erste Einsendungen. Peu à peu tröpfelten die Verlagspakete bei uns ein. Neun Paketchen nahmen wir in diesem Monat entgegen, die meist nur einen Titel enthielten. Wir freuten uns. Die Verlage hatten offensichtlich die richtigen Adressen, die Sache war in Gang gekommen. Endlich konnten wir lesen und uns austauschen. Darauf hatten wir gewartet, seitdem wir gewählt worden waren. Mit Hilfe eines Kriterienkatalogs machten wir uns ans Werk. Mittels Punktesystem bewerteten wir, wie sich Figuren entwickelten, wie gut es dem Autor gelungen war, Atmosphäre herzustellen, und noch ein paar andere Dinge, die uns aussagekräftig für die Qualität eines Krimis zu sein schienen. Die abgearbeiteten Titel packte ich in einen Karton, der vom letzten Umzug übrig war.

Dieser frohgemute Zustand hielt etwa bis Mai. Dann setzten Bedenken ein. Immerhin waren zu diesem Zeitpunkt schon über 100 Titel angekommen, und es war klar: Das ist erst der Anfang. Die Ausbeute nicht einmal der ersten Jahreshälfte. Wir fragten uns, ob wir es wirklich schaffen würden, dass jedes Jurymitglied jeden Roman las? Denn das hatten wir uns vorgenommen. Wir wollten gerecht sein. Nun überlegten wir, dass wir vielleicht pragmatisch handeln und den Lesestoff aufteilen sollten. Darüber wurde diskutiert, der Ansatz aber verworfen. Inzwischen reichte der Umzugskarton schon lange nicht mehr für die gelesenen Bücher. Ich begann, sie auf einer kleinen Freifläche hinter der Wohnzimmertür zu einem Dreipfeilerturm zu verbauen.

Wir blieben dabei: Alle lesen alles, aber als im September allein der Emons-Verlag 66 Titel lieferte, kamen wir erneut ins Grübeln. Wir zweifelten an den Einreichungskriterien: War es wirklich sinnvoll, dass jeder Verlag in Deutschland, Österreich und der Schweiz alle Krimis der Jahresproduktion einreichen dürfte? Aber auch diese Diskussion erschöpfte sich bald. Wir brauchten die Zeit zum Lesen, und die Reorganisation der Einreichungsmodalitäten fiel nicht in unseren Aufgabenbereich. Zu dieser Zeit hatte mein schöner Bücherturm erstmals statische Probleme. Ende September brach er zusammen.

In den folgenden Wochen wurde das Herbstprogramm ausgeliefert. – Der Turm stürzte nochmals ein. Ich stellte ihn auf die solidere Basis von vier Pfeilern. Wir lasen, was das Zeug hielt, und beschlossen, eine interne Shortlist anzulegen. Damit hatte unsere Arbeit eine neue Qualität gewonnen. Der Austausch wurde noch intensiver und gleichzeitig zielgerichteter. Inzwischen waren 337 Titel eingegangen. Der Turm erreichte Deckenhöhe.

Die Liste bewährte sich. Bis Weihnachten zeichnete sich ein Bild ab, welche Romane in die engere Wahl kommen würden. Als wir uns im Januar persönlich trafen, um die Nominierten und den Preisträger festzulegen, erwies sie sich – wie auch unsere Diskussionen im Vorfeld – als hilfreich. Wir einigten uns, dass die Nominierten in diesem Jahr Raoul Biltgen, Alfred Bodenheimer, Ellen Dunne, Monika Geier und Jutta Profijt heißen sollten. Bald war auch klar, dass Jutta Profijt die Gewinnerin sein würde. Wir gaben dem Syndikat die Entscheidung bekannt. Rechtzeitig zu Glausers Geburtstag, dem 4. Februar, wurden die Nominierten veröffentlicht.

Damit war die Juryarbeit getan, zumindest fast. Was blieb, war die Frage, was mit den 417 Büchern geschehen sollte. Ich entschloss mich, sie dem „Offenen Bücherschrank“ in Bamberg zu spenden. Ich demontierte den Turm und verpackte alles in neue Umzugskisten, inzwischen waren es zehn. Beim Einpacken ließ ich das Jahr Revue passieren. Gegen Ende hatte ich – ich gebe es zu – manches Paket verflucht. Aber das war vergessen. Was bleibt?, fragte ich mich nun. – Die Erinnerungen an intensive Diskussionen über das Für und Wider eines Textes, an manch schönes Buch und ein guter Überblick über die deutschsprachige Krimiproduktion. Es war etwas ganz Besonderes gewesen, das Glauser-Lesejahr.

Der Glauser-Preis wird in den Sparten „Roman“, „Debütroman“ und „Kurzkrimi“ vergeben. Zudem gibt es jedes Jahr einen „Ehren-Glauser“ für ein kriminalliterarisches Lebenswerk.

Für den Glauser-Preis 2018 waren in der Sparte Roman Raoul Biltgen mit „Schmidt ist tot“ (Verlag Wortreich), Alfred Bodenheimer mit „Ihr sollt den Fremden lieben“ (Nagel & Kimche), Ellen Dunne mit „Harte Landung“ (Insel Taschenbuch), Monika Geier mit „Alles so hell da vorn“ (Ariadne) sowie Jutta Profijt mit „Unter Fremden“ (dtv) nominiert. Mehr Informationen zu den Nominierten unter http://www.das-syndikat.com/krimipreise/krimipreise-der-autoren/roman.html. Die 2017 eingereichten „Glauser“-Bücher stehen nun im „Offenen Bücherschrank“ Bamberg: https://www.uni-bamberg.de/germ-lit2/offener-buecherschrank/